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Gefuehlsecht

Gefuehlsecht

Titel: Gefuehlsecht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Russo
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einzunehmen.
    Vorsichtshalber warte ich noch bis zum dritten Gongschlag, dann gehe ich zügig und mit streng nach vorne gerichtetem Blick in den Saal und lasse mich auf meinen Sitz fallen. Familie Stankowicz plus Anhang kann ich nicht sehen. Ist vielleicht auch besser so. Das Musical gefällt mir, auch wenn ich es mir ohne Begleitung ansehen muss. Immer noch besser als mit Jürgens Eltern hier zu sein. In der Pause bleibe ich lieber brav auf meinem Platz sitzen, meine weiße Maske für den Notfall immer griffbereit. Aber bis zum Ende der Aufführung gibt es keine weitere brenzlige Situation mehr. Noch als die Zuschauer applaudieren verlasse ich fluchtartig den Saal. Schnell hole ich meine Jacke von der Garderobe und flitze an die frische Luft.
    Und nun? Mit dem Taxi nach Hause? Gute Idee. Nichts mehr hören, nichts mehr sehen. Bestimmt hat das alles gar nichts zu bedeuten. Jürgen hat ja immer vermutet, dass sein Vater ein Auge auf Natascha geworfen hat. Ob der so abgebrüht ist und seine Geliebte auf einen Familien-Musical-Besuch einlädt? Verrückte Welt.
    Ich steige ins Taxi ein, der Fahrer guckt mich lächelnd an. »Wohin darf ich die junge Dame denn bringen?«
    Noch bevor ich zur Antwort ansetzen kann, sehe ich Jürgen und Natascha Anastasia auf den Taxistand zukommen. Die schöne weiße Maske verfehlt heute Abend nicht ihren Zweck. Der Taxifahrer denkt bestimmt, ich hab sie nicht mehr alle. Ist ja auch so.
    »Einen Moment noch, ja?«, bitte ich ihn mit verhülltem Gesicht. Wenn Natascha Anastasia jetzt alleine ins Taxi steigt, ist alles gut. Dann muss ich mir keine Gedanken mehr machen und kann heute Nacht gut schlafen.
    Sie steigt natürlich nicht alleine ein. Und nicht nur das. Jürgen setzt sich neben sie. Nach hinten auf die Rückbank. Das reicht!
    »Können Sie bitte dem Taxi hinter uns unauffällig folgen?«
    »Aber gerne doch. Darf ich fragen, wer da drinsitzt? Irgendjemand, den ich kennen müsste?«
    »Nein. Es ist mein Freund mit dem Büromäuschen seines Vaters«, sage ich freimütig.
    »Ach so. Na dann mal los. Das machen wir schon. Wir können auch den Funk einschalten, dann hören wir, wohin mein Kollege fährt. Die Fahrten werden über die Zentrale geplant, also gehen dort alle Fahrtziele ein.«
    »Das ist aber praktisch …«
    Die Fahrt geht nach Bottrop, in die Kolpingstraße. Kommt mir irgendwie bekannt vor. Zum Glück ist Bottrop nicht weit weg von Essen. Ich habe noch ganze zwanzig Euro bei mir. Der Monat ist echt kostspielig. Bald bin ich wirklich pleite. Und stinksauer bin ich mittlerweile auch. Wir sind nämlich am Zielort angekommen und ich weiß jetzt, wieso mir die Adresse so bekannt vorkam. Hier ist das kleine, gemütliche Restaurant, in dem ich ab und zu, nur zu ganz besonderen Anlässen, mit Jürgen gewesen bin. Das letzte Mal haben wir dort an unserem Jahrestag gegessen. Und jetzt sitzt der Penner hier mit Natascha Anastasia. Wie dreist sind die eigentlich? Ich bin wenigstens mit Bruno ins La Luna gegangen. Dort war ich mit Jürgen noch nie.
    »Soll ich mit reingehen?«
    Ich schaue den Taxifahrer verständnislos an.
    »Ja«, sagt er augenzwinkernd, »wir tun so, als wäre ich Ihr neuer Freund. Wird bestimmt lustig.«
    Ja, da könnte sich wirklich einer amüsieren. Jürgen nämlich. Denn der Taxifahrer wiegt mindestens zwei Zentner. Und Jürgen sitzt da mit einer perfekten Barbie.
    »Danke für das nette Angebot, aber ich geh alleine rein«, meine ich bestimmt.
    »Ich warte hier. Vielleicht brauchen Sie mich ja doch noch.«
    Ich nicke ihm zu und mache mich auf den Weg ins Restaurant. Lange muss ich nicht suchen, denn das Intermezzo ist nicht groß. Jürgen und Natascha sitzen in der gemütlichsten Ecke, die es gibt. An »unserem« Tisch. Das ist zu viel.
    Der Überraschungsmoment liegt nun wirklich ganz auf meiner Seite. Da Jürgen sitzt, bin ich endlich mal größer als er und ich kann auf ihn herabschauen. Meine linke Augenbraue zieht sich gefährlich nach oben, als ich ihn süffisant lächelnd begrüße: »Hallo, Jürgen.«
    »Babsi? Barbara? Was machst du denn hier?«
    »Das wollte ich dich auch gerade fragen. Du sitzt mit einer anderen Frau in unserem Restaurant, an unserem Tisch?«
    »Babsi, es ist nicht so, wie es aussieht. Das ist Natascha Anastasia, die Bürokraft meines Vaters.«
    »Ich weiß, ich bin ja nicht blöd. Das ist die dumme Sekretärin, die dein Vater poppt. Sagst du doch immer. Hast du sie jetzt schon geerbt? Bevor du das Geschäft übernimmst?« Zum ersten Mal

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