Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gefuehlsecht

Gefuehlsecht

Titel: Gefuehlsecht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Russo
Vom Netzwerk:
in Nacken!«
    22 Uhr: »Ein Hund und ein Schwein, die gingen eine Ehe ein. Und das Produkt aus dieser Runde sind wir versoffnen Schweinehunde!«
    23 Uhr: »Zur Mitte, zur Titte, zum Sack, zack, zack!«
    Lena, Marie und ich haben zugesagt, heute Abend für die Bewirtung der Gäste zu sorgen. Das wird was werden! Außerdem hat es sicher schon die Runde gemacht, dass Jürgen weg ist. Und jeder wird natürlich ganz genau über den Hergang des Heiratsantrages Bescheid wissen. Ist ja immer so in unserer Familie.
    Als Erste läuft mir Oma Grete über den Weg. Sie hat die blöde Angewohnheit, uns bei jeder Gelegenheit herzhaft in die Wange zu kneifen. So hat sie, seitdem wir auf der Welt sind, meinen Schwestern und mir schon den einen oder anderen blauen Fleck im Gesicht beschert. Zum Glück wurde Oma Grete mit den Jahren immer kleiner und wir wurden immer größer, so dass die blauen Flecken allmählich nachließen. Pech hat man nur, wenn man von Oma Grete im Sitzen erwischt wird. Deswegen stehen wir natürlich immer auf, wenn sie den Raum betritt. Und sie denkt dann, wir tun das, weil wir solch einen großen Respekt vor ihr haben. Was sie wiederum sehr glücklich macht.
    Doch heute steht sie überraschend vor mir, als ich mich gerade neben meinem Vater auf der Couch im Vereinsheim niedergelassen habe und ihm gespannt dabei zusehe, wie er mein Geschenk auspackt. Ich habe ein altes Foto von Mutti und ihm gefunden, es nachbearbeiten lassen, vergrößert und wunderschön gerahmt. Oma Grete hat sich hinterhältig von hinten angeschlichen und schon spüre ich ihre knochige Hand in meinem Gesicht. Kurz darauf durchfährt mich ein stechender Schmerz.
    »Babsilein, du siehst aber gesund aus. Gar nicht so, als hättest du Liebeskummer.« Ihre Finger vergraben sich tief in meiner Wange »Komm, lass dich angucken, mein Engelchen!«
    Ich wusste es. Oma Grete weiß also auch Bescheid. Und wie wahrscheinlich alle anderen hier denkt sie auch, dass ich verlassen wurde und jetzt ganz schlimmen Liebeskummer habe. Das ist ja wieder mal typisch! Oma Grete nimmt keinerlei Rücksicht. Weder auf meine Gefühle, die ich haben könnte, wäre ich denn wirklich verlassen worden, noch auf das gefährdete Bindegewebe in meinem Gesicht. Und schon gar nicht auf meinen Vater, der ja immerhin heute das Geburtstagskind ist und sich auf mein Geschenk konzentriert. Immerhin hat Oma Grete ein verdammt gutes Gespür für mein Gewicht.
    »Du siehst aber gesund aus«, kommt es auch prompt. Und zu allem Überfluss zieht sie jetzt die Haut in meinem Gesicht prüfend vor und zurück. Das muss mit den zweieinhalb Kilo zusammenhängen. Ganz klar!
    Vorsichtshalber stehe ich auf. Es könnte ja sein, dass sich ihre Hand auch noch in andere Regionen meines Gesichts verirrt. Oma Grete scheint immer kleiner zu werden. Sie schrumpft regelrecht. Geschieht ihr recht! Ich meine, ich bin mit meinen 1,67 Meter ja auch nicht gerade groß, aber Oma Grete ist fast noch einen ganzen Kopf kleiner als ich. Hinter mir höre ich Lena und Marie kichern. Das war schon immer so. Ich war immer diejenige, die sich ständig von ihr hat erwischen lassen. Diejenige, die die meisten blauen Flecken hatte. Und auf mich freute sich Oma Grete immer am meisten.
    »Gut siehst du aus, Engelchen! Und lass dir ja nichts vormachen, hörst du? Also wenn ich noch mal jung wäre … Bevor ich noch mal heiraten würde, ich sag dir, da müsste mir erst mal einer die ganze Welt zu Füßen legen.«
    Opa Paul ist vor vier Jahren gestorben. Ehrlich gesagt, hat mir mein Großvater immer leidgetan, weil Oma Grete ihn immer fürchterlich rumkommandiert hat. Opa Paul war die gute Seele unserer Familie und ich habe fürchterlich geweint, als er damals gestorben ist. Mein Vater ist Opa Paul sehr ähnlich. Er hat von ihm die schweigsame, ruhige und sanfte Art geerbt. Mein Großvater vertrat immer die Meinung, man müsse zufrieden sein mit dem, was der liebe Gott einem schenkt. Und er war es auch. Die Sticheleien von Oma Grete schien er gar nicht wahrzunehmen oder er ertrug sie mit stoischer Gelassenheit. Und wenn wir Kinder uns hinter seinem riesigen Sessel vor Oma Grete versteckten, dann schmunzelte er still und leise vor sich hin. Er sah wirklich immer glücklich und zufrieden aus. Und ich glaube, er war auch bei seinem Tod mit sich im Reinen. Sein Herz hat versagt. Einfach so. Er ist im Sessel beim Lesen eingeschlafen und nie wieder aufgewacht.
    Eigenartigerweise scheint es ansonsten niemand weiter zu beeindrucken,

Weitere Kostenlose Bücher