Gefuehlsecht
beibringen wird. Bei Schnaps Nummer elf habe ich aufgehört zu zählen. Das war der Zeitpunkt, ab dem ich nicht mehr stehen konnte und an dem ich Onkel Karl wirklich gefragt habe, ob ich mal über seine schöne Glatze streichen darf. Durfte ich! Hat sich ganz merkwürdig angefühlt.
Irgendwann hat Lena mich nach Hause gefahren. Sie hat keinen Tropfen getrunken und mich nach oben bis ins Bett gebracht. Ich habe mich standhaft geweigert, meinen Schlafanzug anzuziehen. Hoffentlich ist Lena jetzt nicht sauer auf mich. Ich glaube, ich habe ihr gesagt, sie sei wirklich wie Mutti und solle besser ihre eigenen Kinder zu Hause beglucken.
Mein Körper fühlt sich ganz schwer an und ich fürchte mich davor, eine Bewegung auszuführen. Dann wird mir wieder übel und Sekunden später hänge ich über der Toilette. Maja hat übrigens schon mal aus meinem Fenster gekübelt. Da hatten wir wohl zu viel Rum in den Glühwein geschüttet und beim Sitzen haben wir von unserem Zustand nichts gemerkt. Bis Maja von der Couch aufgestanden ist. Sie hat es nicht mehr bis zur Toilette geschafft und da das Fenster gerade zum Lüften offen stand … Zum Glück war es schon spät und Majas Ladung hat niemanden getroffen.
Ich denke an meine Freundin und ein starkes Glücksgefühl macht sich in mir breit. Schade, dass sie heute nicht dabei war. Sie hätte Onkel Karl bestimmt unter den Tisch getrunken. Lächelnd liege ich im Bett, meine Augenlider werden immer schwerer. Kurz vorm Einschlafen vibriert plötzlich mein Handy an meinem Hintern. Hä? Wer ist das denn? Es ist ein Uhr. Kann eigentlich nur Maja sein. Es dauert eine Weile, bis ich mein Kleid angehoben und mein Handy aus der Strumpfhose gefischt habe. Fahrig öffne ich das blinkende Briefchen. Die Nachricht ist von Jürgen! Was ist denn mit dem los? Dass der noch nicht tief schläft? Ich versuche, auf der Stelle hellwach zu werden, doch es gelingt mir nicht ganz. Fieberhaft versuche ich, meine ganze Konzentration zusammenzunehmen, damit ich Jürgens Worte lesen und verstehen kann:
Ich freue mich auch. Es wird bestimmt schön. Wir treffen uns morgen, also eigentlich heute, um sieben vor dem Theater. Bin gespannt, wie dir das Phantom gefällt. Schlaf schön!
He, ich bin vielleicht betrunken, aber ich kapiere es trotzdem sofort: Diese SMS war nicht für mich bestimmt! Jürgen geht ins Phantom der Oper . Und zwar nicht mit mir. Was ist das denn für eine Scheiße? Die dreißig Tage waren doch für mich. Oder gönnt er sich etwa auch eine Auszeit? Ohne zu zögern tippe ich mit wackeligen Fingern in mein Handy:
Du bis ech so gemein. DA wollt ich doch mitdir hin. Jaja, dreißi Tage un keine fragen. Auch für DICH??
Mit wem Jürgen wohl verabredet ist? Dass er ohne mich das Phantom der Oper sehen will, finde ich mehr als fies. Vor allem, weil ich ihn schon wochenlang bearbeite, mit mir dorthin zu gehen. Jürgen mag nämlich keine Musicals. Ich lese noch einmal die Nachricht, die ich ihm gerade geschrieben habe und drücke auf »Löschen«. Wenn ich nüchtern bin, denke ich erst einmal in Ruhe über alles nach. In und über mir dreht sich alles. Ich denke an Jürgen, da sehe ich plötzlich Bruno vor mir. Er lacht mich an, sagt »Barbara«. Es hört sich schön an, wenn Bruno meinen Namen sagt. Ich bin die heilige Barbara. Eine Schutzheilige. Das hat er mir letztens erzählt. Was ich wohl getan habe, damit ich heiliggesprochen wurde? Bestimmt habe ich in einem früheren Leben mit meinen heiligen Händen Betten gesegnet. Und in den von mir gesegneten Betten sind dann besonders glückliche Babys gezeugt worden. Weil die aus einem männlichen und einem weiblichen Orgasmus entstanden sind.
Als ich aufwache, ist es schon hell am Morgen. Mann, ich muss wirklich aufhören mit dieser Trinkerei. Danach träume ich immer einen Müll zusammen, den ich gar nicht mehr verkraften kann, wenn ich wieder nüchtern bin. Die heilige Barbara! Innerhalb von Sekunden bin ich hellwach und schmeiße den PC an. Ich erfahre, dass Barbara die Schutzheilige der Bergleute ist, der Geologen, Glöckner, Glockengießer, Schmiede, Maurer, Steinmetze, Zimmerleute, Dachdecker, Elektriker, Architekten, Artilleristen, Feuerwerker, Feuerwehrleute, Totengräber, Hutmacher, der Mädchen und der Gefangenen. Außerdem zählt sie zu den Vierzehn Nothelfern und hilft gegen Gewitter, Feuergefahr, Fieber, Pest und plötzlichen Tod.
Praktisch! Das muss ich unbedingt Maja erzählen. Wo ist nur mein Handy? Es liegt in der Besucherritze.
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