Gefuehlsecht
einen Mann und eine Frau. Wobei ich damit nicht sagen will, dass ein gleichgeschlechtliches Pärchen für mich nicht normal ist. Nur der Anblick ist eben etwas ungewohnt.
Direkt neben uns unterhalten sich angeregt zwei Kerle auf eng zusammengerückten Barhockern. He, die sehen verdammt gut aus. Und in einer der dunklen Nischen knutschen ungeniert zwei Frauen. Ich glaube zumindest, dass es Frauen sind, da ich die eine nur von hinten sehe und die andere im Dämmerlicht verschwindet. Ich muss mich richtig zusammennehmen, nicht die ganze Zeit dorthin zu starren. Schon irgendwie faszinierend! »Sex mit einer Frau« stand auch auf meiner Lotte-Liste , wobei ich es ja dann wieder durchgestrichen habe. Wie es sich wohl anfühlt? Vielleicht sollte ich es mir doch noch mal überlegen? Reizen würde es mich schon immer noch ein wenig.
Maja bestellt uns zwei Caipirinhas. Mann, schon wieder so viel Alkohol. Und dabei hatte ich mir nach der feuchtfröhlichen Geburtstagsfeier meines Vaters fest vorgenommen, nie wieder was zu trinken. Nun, immerhin bin ich jetzt die Lieblingsnichte von Onkel Karl.
Wir nuckeln einträchtig an unseren Strohhalmen, als es plötzlich passiert, und zwar wieder alles auf einmal. Ich höre den Barkeeper rufen: »Bruno, noch’nen Wodka?«, da packt mich Maja am Arm und zischt mir ins Ohr: »Ich werd verrückt! Ist das etwa deine kleine Schwester?«, und Uschi steht augenblicklich vor mir, guckt mich überrascht mit großen Augen an und fragt: »Babsi? Du hier?«
Und was mache ich? Ich habe nur Augen für den Mann neben mir, der jedoch ein anderer, ein mir völlig fremder Bruno ist. Dann wende ich mich in Zeitlupe Uschi zu und schaue sie verdutzt an. Was macht die denn hier? Und wo soll Marie sein? Zum Glück hängt Maja immer noch an meinem Arm, sonst würde ich mit Sicherheit auf der Stelle vom Hocker purzeln.
»Hi, ich bin Maja. Und wer bist du?«, stellt sie sich Uschi vor. Maja behält in solchen Situationen immer komplett den Überblick und bewahrt die Nerven. Obwohl ihr das momentan sicherlich leichtfällt. Sie ist ja mal wieder Zuschauerin und ich bin die Heldin im Film, wie immer.
»Ich heiße Uschi«, stellt sich ihr meine Friseurin vor.
Ich bin zugegebenermaßen fassungslos und starre Uschi ungläubig an. Ich denke »Uschi-Muschi« und ich muss mich bemühen, das nicht spontan auszusprechen. »Hallo, Uschi!«, murmele ich etwas befangen.
Uschi lacht mich an. Ich versuche, klar zu denken, und nuckele weiter an meinem Caipirinha.
»Du siehst toll aus«, sagt Uschi und sieht mir tief in die Augen. »Wahnsinn, was Haare ausmachen. Marie hat mir gar nicht erzählt, dass du auch lesbisch bist. Die wird Augen machen, wenn sie dich hier sieht. Ach, da kommt sie ja.«
Marie? Meine kleine Schwester ist hier zusammen mit Uschi? Ich verschlucke mich augenblicklich an dem letzten Schluck und pruste das ganze Zeug heraus. Es trifft ausgerechnet Maja mitten ins Gesicht. Doch sie bleibt ganz ruhig. Immerhin wird hier gerade Familiengeschichte geschrieben und sie darf hautnah dabei sein. Grinsend nimmt sie sich eine Serviette und reicht mir auch eine. »Hier, wer weiß, was gleich noch passiert.«
Und da ruft Uschi auch schon: »Marie, Marie, schau mal, wer hier ist. Deine Schwester!«
Marie kommt zögernd auf uns zu. Sie ist knallrot wie eine Tomate. Wie süß ist das denn? Normal bin ich doch immer diejenige, die errötet. Marie habe ich noch nie so gesehen. Es dauert eine ganze Weile, bis ich verstehe, was hier wirklich abgeht. Ich habe Marie und Uschi vorhin beim Knutschen zugesehen! Das ist ja nun wirklich der Hammer. Uschi ist also lesbisch. Aber Marie? Das hätte ich doch mitbekommen? Ich mache mich hier auf die Suche nach Bruno, der angeblich schwul sein soll, und wen finde ich? Meine kleine Schwester! Marie ist das Ganze sichtlich unangenehm. Das merke ich daran, wie sie sich mit den Fingern durch die Haare fährt. Das hat sie als Kind auch immer gemacht, wenn es irgendwie brenzlig wurde.
Sie guckt mich mit großen, unschuldigen Augen an und sagt: »Ich habe dir ja gesagt, dass ich wahrscheinlich adoptiert wurde.«
Ich will irgendwas Witziges darauf antworten, irgendwie die Situation retten, doch mir fällt nix ein außer ein lahmes »Quatsch!«.
Uschi scheint von dem klärenden Familiengespräch nichts mitzubekommen, denn sie sieht Marie vorwurfsvoll an, schüttelt den Kopf und sagt: »Du hast mir gar nicht erzählt, dass Barbara auch lesbisch ist. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich
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