Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)
auch irgendwie.
Er zittert. Er tut mir leid. Ich bitte ihn rein, koche ihm einen Kaffee.
Wundert Sie das? Er kommt mir vor wie ein verirrtes Vögelchen, ein schwaches, liebeskrankes Vögelchen, obwohl er versucht, starke Sprüche abzulassen. In der Wirtschaft lernen Sie, dass es nicht darauf ankommt, was einer erzählt. Wir sind mit unserem Preisangebot bis ans Limit gegangen! Wir können nicht früher liefern! Es lügen doch sowieso alle. Ich sehe mir den Sprecher genau an, und dann weiß ich, wo wirklich sein Limit liegt.
»Mach dir keine Sorgen«, sage ich. »Sie will dich nur eifersüchtig machen, und warum? Weil sie Angst hat, dich zu verlieren. Geh hin, fahr hin, jetzt gleich.«
Er schaut mich dankbar an. Wir umarmen uns. Er krallt sich an meine Schulter und schluchzt. »Ja, ich fahre hin. Danke, Benno.«
»Nicht jetzt gleich«, sage ich. »Du hast einen in der Krone. Iss erst mal was. Kochst du gern, Raffael?«
Er schüttelt den Kopf, nee, Kochen ist nicht sein Ding. Ich hole den Wok, und dann setzen wir uns an den Küchentisch, schneiden Frühlingszwiebeln, Knoblauch und Basilikum klein, braten die Mischung im Wok kurz an, dann gebe ich tiefgekühlte Shrimps und ein bisschen Butter dazu. Raffael darf in der Zwischenzeit asiatische Nudeln und zwei, drei Tassen Instant-Gemüsebrühe kochen. Das mischen wir dann alles im Wok und geben noch Limettensaft und Sambal Oelek dazu. Ganz einfach.
Meine Shrimps-Spezialpasta, in zwanzig Minuten auf dem Tisch.
Wir gehen raus auf die Dachterrasse. Ich stecke ein paar Kerzen an und lege die CD ein, die N. mir aufgenommen hat. Sie hat einen guten Musikgeschmack, aber die CD war mehr so ironisch gemeint, Schmusesongs, Oldies, grauenhaft, aber lustig. Gleich beim ersten Song, »I’m not in love«, 10 cc, fängt er wieder an zu heulen. »Das ist ihr Lieblingslied, das hat sie mir gebrannt.«
Ihr Lieblingslied, dass ich nicht lache. Ich sage, tut mir leid, Raffael, so eine Scheiße, tut mir so leid, Zufall, N. und ich, wir waren zusammen in der Schule, damals ist das eben in Rheinland-Pfalz ein Hit gewesen, Moment, ich lege was anderes auf.
Ich nehme Richard Wagner, den Walkürenritt, leise, wegen der Nachbarn. Nach dem Essen sitzen wir beide da, schauen über Berlin, der Mond ist fast voll, ich lege den Arm um Raffaels Schulter, keine Angst, sage ich, aber ich habe im Moment grad auch eine schwierige Phase, mit meiner Freundin, das läuft alles gar nicht gut, das steht auf der Kippe, und ich hab Angst vorm Alleinsein. Weiter nichts, ich mach dich schon nicht an.
Raffael fragt: »Was ist denn euer Problem?«
Ich sage, sie kann sich nicht entscheiden. Du darfst nicht lockerlassen, sagt Raffael. Das ist wie im Fußball, der Siegeswille ist das Entscheidende.
Dann geh jetzt mal besser, sage ich, und zeig Siegeswillen.
Raffael sagt: »Hat sehr gut geschmeckt. Ich würde mich gerne revanchieren, dürfen N. und ich dich mal einladen?« Ich sage, klar, gern. Bring das jetzt erst mal in Ordnung.
Am nächsten Tag kam von N. die SMS. Wir passen nicht zusammen, danke für die schöne Zeit. 52 Zeichen, es hätte für den gleichen Preis ruhig etwas ausführlicher ausfallen dürfen. Ich habe mich gewundert, dass ich nie wieder etwas gehört habe, weder von ihr noch von Raffael. Wissen Sie vielleicht etwas?
Oh. Jetzt habe ich den Käse ganz alleine gegessen.
19
N. ist ein paar Tage bei ihren Eltern gewesen, die sind alt und krank. Auf der Autofahrt zum Möbelhaus erzählt N., dass sie bei dieser Gelegenheit auch zu einer Beerdigung gegangen ist. Einer ihrer Lehrer, den sie damals wohl ziemlich gut fand. Ein paar aus ihrer alten Klasse waren auch da.
Nett war es.
Der Lehrer hat selbst die Beerdigungsmusik zusammengestellt, und da sei, zwischen drei oder vier Jazz- und Klassikstücken, auch ein Song dabei gewesen, den sie einmal für ihn aufgenommen hatte, »Stairway to Heaven«, Led Zeppelin. Das fand sie rührend.
War da etwa was zwischen dir und diesem Lehrer, fragt Groll in ironischem Ton. Wenn er sich nach so vielen Jahren erinnert.
Er sagt immer wieder Sachen, für die es ihm, sofort, eine Sekunde danach, leid tut. N. erzählt nicht weiter. Ein großes Problem zwischen ihm und N. besteht darin, dass sie ihm dumme Bemerkungen nicht verzeiht.
Als sie, nach einer Viertelstunde, einen Parkplatz gefunden haben, gehen sie als Erstes zum Kinderparadies. Paula ist guter Laune, sie freut sich auf das Kinderparadies. Allerdings hasst sie es, sich jünger machen zu müssen.
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