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Gefühltes Wissen

Gefühltes Wissen

Titel: Gefühltes Wissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Evers
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mich hin gebrabbelt habe:
    - Noaa, is' doch alles, boahr, aber ich sag, na ja, aber will ja keiner hören, obwohl, aber is' denn ja, weiß man auch, aber trotzdem, ne, kennst das auch?
    irgendwann liebevoll aufforderte:
    - Komm, Horst, geh na Hause. Is' genug, bist für heute fertig, war 'n langer Satz. Geh na Hause.
    Dann war meine Reaktion:
    - Was? Aaaaer no lange nich. Sollst ma sehn, was ich noch. Paß ma auf.
    - Ah komm, Horst, is' doch Quatsch. Geh na Haus, hast genug!
    - Gar nich! Nee! Ich kann noch ganz lange sitzen. Sollst ma sehn, ich schaff das. Ich werd's euch allen zeigen.
    - Horst, wir sind nur noch zu zweit.
    - Ah was?
    Heute passiert mir so was nicht mehr. Heut reicht eine Aufforderung:
    - Horst, is' genug. Bist fertig für heute!
    Und ich schlafe ohne Widerworte direkt am Tresen friedlich ein. Ich muss mich nicht mehr quälen. Ich habe heute die nötige Reife, um zu wissen, irgendwer wird sich schon kümmern.
    Selbst bei meiner Herkunft will ich nichts mehr idealisieren. Wenn ich früher jemandem gestanden habe, dass ich in Niedersachsen aufgewachsen bin, habe ich mich immer bemüht, zu erläutern, wie schön Niedersachsen nämlich auch ist. Das denken ja viele nicht. Die Schönheit Niedersachsens zu beschreiben, das is' wirklich ein gewaltiges, hochkompliziertes Projekt. Die Schönheit anderer Gegenden, wo alle immer sagen: Da is' schön, also wo man die Schönheit auch sofort sieht, an der Landschaft oder so, diese Schönheit zu beschreiben, das is' einfach. Aber Niedersachsen, ah, da is' ja nix, denken viele. Und stimmt ja auch. Zu sehen gibt's nix. Aber Niedersachsen, das is' eher so 'ne gefühlte Schönheit. So immanent. Verstehen viele nicht. Was hab ich nicht alles versucht, um anderen die Schönheit Niedersachsens begreiflich zu machen. Erfolglos. Irgendwann dachte ich, okay, geht halt nicht, man kann es nicht beschreiben. Bis mir Meirings Wilhelm zur Hilfe kam. Wilhelm Meiring war vierter oder fünfter Filialleiter bei der Kreissparkasse Diepholz. Nach der Wende bekam er plötzlich die Gelegenheit, in eine weitaus höhere Position zu einer Sparkasse im weiten, flachen Mecklenburg-Vorpommern zu wechseln. Ein enormer Karrieresprung. Letztes Jahr aber ist er plötzlich nach Diepholz zurückgekommen, zurück in eine deutlich niedrigere Position, bei erheblichen Gehaltseinbußen. Und trotzdem, sagte er, musste er einfach zurückkommen, weil: Er hat diese Hektik in Mecklenburg-Vorpommern einfach nicht mehr ausgehalten.
    Das beschreibt Niedersachsen eigentlich ganz gut. Diese Schönheit der völligen Ereignislosigkeit. Das kann man eben nicht begreifen, wenn man nur mal so durch Niedersachsen durchfährt. Nee, da muss man sich auch einfach mal die Zeit nehmen und so 10, 20 Jahre da leben. Aber dazu sind ja nu die wenigsten bereit.
    Meirings Wilhelm muss sich auch nichts mehr beweisen. Wie ich. Das ist ein schönes Gefühl. Aber ich habe manchmal eben noch Rückfälle. Und das ist schlimm. Wie kürzlich, als ich auf die schlichte Frage, ob ich mal eben für zwei Stunden alleine auf fünf dreijährige Kinder aufpassen könnte, als ich da sagte:
    - Na klar kann ich das. Logisch. Überhaupt kein Problem für mich. Das wird ein Spaß. Kinderspiel sozusagen…
    Das war dumm. Und eigentlich wollte ich auch diese Geschichte erzählen. Wie ich zwei Stunden auf fünf dreijährige Kinder aufgepasst habe. Wobei aufgepasst in dem Sinne trifft es nicht genau, und präzise formuliert müsste ich auch eigentlich sagen, wie ich eine Stunde auf fünf Dreijährige aufgepasst habe und dann mehrere Stunden mit vier dreijährigen Kindern ein dreijähriges Kind gesucht habe. Aber das ist wirklich eine lange Geschichte. Und tatsächlich ist ja auch praktisch schon alles gesagt. Also fast.
    Dabei war ich es klug angegangen. Gleich zu Beginn hatte ich vorgeschlagen:
    - Wir machen das ganz toll. Wir machen was ganz Spannendes. Ihr spielt Höhlenforscher. Hier ist eine Taschenlampe. Die Höhle ist der Schrank, da drin könnt ihr jetzt mal zwei Stunden so richtig was wegforschen.
    Ein brillanter Plan. Der auch tadellos funktioniert hat. Fast eine volle Minute lang. Dann haben die Kinder den Schrank quasi gesprengt. Die Taschenlampe war kaputt. Die Kinder beschlossen, wir müssen sofort ins Kaufhaus, eine neue Lampe besorgen. Ich dachte: Warum nicht? Was soll schon passieren? Und dann passierte es. Ca. fünf Stunden lang, quasi ununterbrochen: passierte es. Eine schlimme, quasi traumatische Erfahrung, bei der es vielleicht gar

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