Gefühltes Wissen
beigefarbener Anzug, der auch relativ gut sitzt.» Komme mir ein wenig blöd vor. Bemerke, dass der eigentliche Anfang dieser Geschichte noch weiter zurückliegt.
Vor sechs Wochen. Stelle beim Kuchenbacken fest, dass sich die alten Holzflügelfenster in der Küche durch die ständigen Stürme der letzten Wochen ziemlich verzogen haben. Lassen sich nur noch sehr schwer schließen und öffnen. Beschließe, die Hausverwaltung nicht mit solchem Kinderkram zu nerven, sondern patent zu sein und das Ganze mit einem Hobel und einigen Rollen Tesa Moll selbst zu richten. Bin erstaunlich erfolgreich. Aber leider muss so ein kleines Spiel im Schließbereich des Fensters entstanden sein. Der noch heftigere Sturm der folgenden Nacht verfängt sich darin, drückt das Fenster nimmermüd stundenlang hin und her, bis es irgendwann aus den Angeln knallt und fortan Sturm und Regen ungehinderten vollen Zugang zu meiner Küche gewährt. Am nächsten Morgen finde ich das zertrümmerte Fenster, davor die gänzlich durchnässte und ruinierte Küchenarbeitsfläche und darauf den zermatschten Kuchen, der die halbe Nacht im Regen stand.
Bestelle den Notfallglaser, beschließe, am Nachmittag im Baumarkt eine neue Arbeitsplatte zu besorgen, stecke den völlig durchgeregneten Kuchen in ein Paket und schicke es an meine Exfreundin. Sie kennt «MacArthurs Park». Sie wird die Anspielung verstehen. Dann setze ich jetzt doch ein Schreiben an die Hausverwaltung auf, zum einen wegen der sicher horrenden Rechnung des Glasers, zum anderen auch, weil durch die Wassermassen ein paar unschöne Flecken an der Decke der Nachbarin unter mir entstanden sind.
Dieser Brief nun gerät in die Hände von Sabine Jansen. Einer Zeitarbeitskraft, die zur Abwicklung der vielen Sturmschäden für zwei Wochen von der Hausverwaltung zusätzlich eingestellt worden ist.
Frau Jansen fand meinen Fall irgendwie lustig, dachte sich: «Klar, ein Idiot, aber schon auch süß», schrieb prompt sehr nett zurück, ich antwortete wieder sehr charmant, und schließlich wickelte sie meinen Fall unbürokratisch und zu für mich sehr glücklichen Konditionen ab. Zum Dank lud ich sie drei Wochen später zum Essen ein und kündigte an, meinen beigen Anzug tragen zu wollen, damit sie mich erkennt.
Am Tag des quasi Blind Dates bemerke ich einen erheblichen Kaffeefleck auf dem Anzug. Die Schnellreinigung sagt mir: «Kein Problem, ist bis 18 Uhr fertig.» Komme um 18 Uhr in die Schnellreinigung. Schnellreinigungsfrau sagt:
- Is' weg.
- Wie? Weg? Was?
- Der Anzug. Weg. Weiß auch nich.
- Wie? Weg? Was?
- Na, is' weg. Der Anzug. Kann man nix machen.
- Kann man nix machen?
- Nee, kann man nix machen.
- Ach so.
Sie entschuldigt sich und drückt mir einen Stapel Gutscheine in die Hand. Deshalb sitze ich jetzt im schlecht sitzenden dunklen Anzug mit dem Schild um den Hals im Restaurant und komme mir blöd vor. Auch weil Frau Jansen seit zwei Stunden überfällig ist. Womöglich war sie kurz da, hat mich und mein Schild gesehen, irgendwas gedacht wie: Um Gottes willen! und hat sich schnell wieder vom Acker gemacht. Die eleganten Kellner in ihren gut sitzenden weißen Hemden beobachten mich mit einer Mischung aus Mitleid und Häme. Dann erscheint Sylvia Brandt, meine Nachbarin von unten, meine Rettung. Also zumindest, was die Kellner angeht. Springe auf und zerre sie an meinen Tisch.
- Hallo, Sylvia, schön, dass du's doch noch geschafft hast.
- Was?
Ich flüstere:
- Is' 'ne lange Geschichte. Tu einfach so, als wenn de dich nur verspätet hättest, ich lad dich auch ein, es ist wegen der Kellner, bitte!
- Okay, aber ich arbeite hier.
- Ach so.
Schreie in Richtung der Kellner:
- Jaaa, wollte dich ja schon lange mal auf Arbeit besuchen, schön, dass es endlich geklappt hat.
Das Mitleid in den Blicken der Kellner wächst.
Sylvia erzählt mir, dass die Wasserflecken wieder weg sind. Die Hausverwaltung hat sie ausgetrocknet, versiegelt und die Decke neu streichen lassen. Aber nervig wars schon. Sie fragt mich, ob ich zum Dank ihre Katze füttern kann. Sie fliegt für zwei Monate nach Australien.
Für alle Fälle gibt sie mir schon mal ihre Handynummer. Falls mal was is' Da ich nichts anderes zum Schreiben habe, kritzel ich sie auf den Rand der Zeitung aus meiner Mantelinnentasche.
Als ich später zahlen will, stelle ich fest, dass ich vergessen habe, mein Portemonnaie in den dunklen Anzug zu stecken. Biete dem Kellner stattdessen den Stapel Reinigungsgutscheine aus der Manteltasche
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