Gefürchtet
Gehweg neben dem Mustang. Im ersterbenden Licht wirkte er viel älter als achtundzwanzig. Ich strich ihm eine Strähne hinters Ohr.
»Ich weiß, dass ich überempfindlich bin«, sagte er. »Tut mir leid, dass ich mich so über den Explorer aufgeregt habe.«
»Kein Problem. Und mir tut es leid, dass ich dich daran gehindert habe, dem Kerl das Knie zu brechen.«
»Ja, das hätte eine gute Schlagzeile gegeben. ›Schwitze-Shaun geht in die Knie.‹«
»Ich wusste nicht, dass du ihn erkannt hattest«, sagte ich.
»Schließlich kriegt man nicht jeden Tag Fußtritte von einem
verhinderten Superstar.« Er wendete und sah mich an. »Du weißt doch, dass Ricky Jimson ihm den Spitz namen verpasst hat?«
»Ich erinnere mich. Und jetzt weiß ich auch, wo ich ihm schon mal begegnet bin. Gestern vor eurer Kanzlei. Er hat in Jimsons Geländewagen mit Sinsa eine Nummer geschoben.«
Jesse überlegte. »Dann ist er vermutlich eifersüchtig auf PJ. Die Sache wird immer verfahrener.«
Ich streckte die Hand aus. Als er sie nahm, raffte ich meinen Rock und setzte mich rittlings auf sei nen Schoß, sodass meine Füße in der Luft baumelten. Er schlang die Arme um mich und holte tief Luft. »Manchmal hätte ich gern ein ganz normales Leben.«
Er gab nie zu, dass der Killerfahrer sein Leben zerstört hatte. Wenn sei ne Beine nicht mehr wollten, dann griff er eben zu Rollstuhl oder Krücken und tat das, was ihm noch möglich war. Oft genügte ihm das. Aber in Zeiten wie diesen half ihm auch sein Durchhaltevermögen nicht weiter. Ich hätte weinen mögen.
Aber ich verkniff es mir. Stattdessen lachte ich. »Sehr witzig.«
»Kann ich nicht finden.«
»Der obercoole Jesse Matthew Blackburn mit der scharfen Zunge, US-Meister im Schwimmen und gefürchteter Strafverteidiger, wünscht sich ein Durchschnittsleben. Das glaubst du doch selber nicht.«
Jesse gab sich große Mühe, so trübsinnig wie möglich dreinzuschauen, aber ich hatte ihn erwischt. Er verdrehte die Augen.
»Kann ich mich nicht wenigstens einmal im Jahr fünf Minuten lang in Selbstmitleid suhlen?«, fragte er.
»Vielleicht an deinem Geburtstag.«
Scheinwerfer erfassten uns. Im Lichtkegel von Marc Duprees silbernem Ford Pick-up fühlte ich mich wie ein Teenager, der beim Knutschen vor der Tür erwischt wird. Ich sprang von Jesses Schoß und strich meinen Rock glatt. Jesse warf das Haar zurück, das ihm in die Augen hing.
Marc parkte und schaltete die Lichter aus. Brian stieg aus und marschierte pfeifend an uns vorbei, ohne mit der Wimper zu zucken. Marc folgte ihm mit undurchdringlicher Miene.
Jesse blickte ihm nach. »Officer, zu mir hat sie gesagt, sie ist schon achtzehn.«
Marc lachte und verschwand durch das Tor. Jesse zückte seine Autoschlüssel. Der Augenblick war vorüber.
Als ich ins Haus ging, durchstöberte Brian gerade den Kühlschrank. Er holte ein Stück Käse heraus, beschnupperte es und fing an, den Schimmel herauszuschneiden.
»Alles in Ordnung?«, fragte er.
»Das ist Roquefort. Der muss so sein.« Ich hatte keine Lust, mich über die Ereignisse des Nachmittags auszulassen. Und schon gar nicht über mein Liebesleben.
»Jesse sieht nicht gut aus.«
»Es war ein langer Tag.«
Er schnippelte weiter an dem Käse herum. »Wie viel hat er eigentlich abgenommen?«
Ich lehnte mich gegen die Arbeitsplatte, sagte aber nichts.
»Ev. Geht es ihm gut?«
Er las die Antwort in meinem Gesicht, legte das Messer weg und nahm mich in die Arme.
»Ich habe Angst«, sagte ich.
11. Kapitel
Am Montagmorgen hatte sich das Wetter beruhigt. Der Sturm war abgezogen, und über den Bergen wölbte sich ein seidig blauer Himmel. Als ich aus dem Haus trat, empfing mich erfrischend kühle Luft. Ich fuhr nach Goleta, wo die Allied Pacific Bank am Rand ei ner schäbigen Ladenzeile ihre Filiale hatte. Ich ging hi nein und fragte nach der Filialleiterin.
Bianca Nestor besaß einen flotten Schritt, der allerdings durch ihren Rock etwas gebremst wurde. Ich reichte ihr den Ausdruck der Strafanzeige.
»Ich gehe davon aus, dass die Betrügerin unter meinem Namen bei Ihnen ein Konto eröffnet hat«, sagte ich.
»Hässliche Sache.« Sie warf ei nen Blick auf die Anzeige. »Wir überprüfen das und leiten alle relevanten Informationen an Sie weiter. Normalerweise dauert das zehn Werktage.«
Karen Jimson würde am Nachmittag meinen Kopf fordern.
»Können Sie das nicht gleich prüfen? Bitte. Ich stecke deswegen in großen Schwierigkeiten.«
Sie trommelte mit den Fingern auf
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