Gefürchtet
gut, da hätte er sich was Besseres einfallen lassen können, aber das war das Problem bei Live-Auftritten.
Nein, du hast recht, er ist kein Blödmann. Das hätte ich nicht sagen dürfen. Es regt mich nur auf, dass du dir solche Sorgen um ihn machst.
Ihr fehlte es einfach an Ehrgeiz. Wenn er es recht bedachte, war das schon immer ihr Problem gewesen. Sie verliebte sich Hals über Kopf, und schon war alles vergessen. Deswegen würde sie es auch nie bis ganz nach oben schaffen. Gar nichts würde sie schaffen.
Wein doch nicht, Kleines. Erzähl mir, warum du dich so aufregst.
Und das tat sie. Spuckte einfach alles aus. Erzählte ihm alle Einzelheiten und was sie deswegen unternehmen wollte. Damit hätte sie alles auffliegen lassen. Die dumme Kuh hatte ihr Ende selbst besiegelt.
Schau, ich hab da was, damit du dich besser fühlst. Dreh dich um und schließ die Augen.
Trommelwirbel.
Also gut, ich geb dir einen Tipp. Es ist eine Halskette.
In Gedanken stoppte er den in seiner Erinnerung ablaufenden Film. Wenn das kein guter Einfall war. Eine Halskette. Er lächelte, drehte sich zum Spiegel und sah sich selbst beim Lächeln zu. Eine Halskette. Aus ei ner E-Saite, du dumme Gans. Mal gucken, ob sie passt.
Heiß, heiß, heiß. Er war so unglaublich heiß.
Leider hatte er ihre Reaktion n icht beobachten k önnen. Dabei war das immer der beste Teil - die Wirkung auf das Publikum. Das Schweigen am Ende seiner Vorstellung war irgendwie unbefriedigend. Aber egal. Er hatte noch viele coole Sprüche auf Lager.
Jesse empfing mich in der Lobby von Sanchez Marks. »Bist du gut gerüstet?«
»Kettenhemd, Kruzifix, Knoblauch. Auf in den Kampf.«
Lavonne deutete auf einen Stuhl in ihrem Büro.
»Meine Diskussion mit Jesse geht mittlerweile in die vierte Runde. Er will nicht zulassen, dass du des Diebstahls bei einem Mandanten beschuldigt wirst. Vertreten kann er dich allerdings nicht, weil das die Kanz lei in eine unmögliche Lage bringen würde.« Sie verschränkte die Arme. »Ich wäre dir daher dankbar, wenn du uns Argumente liefern könntest, durch die die ganze Debatte hinfällig wird.«
Ich reichte ihr einen Ordner. Sie setzte ihre Brille auf und ließ sich an ihrem Schreibtisch nieder.
Während sie die Anzeige und meine Meldung beim Kreditbüro studierte, kritzelte Jesse auf einem Block herum. Im Sonnenlicht wirkte er besonders blass. Ich er zählte Lavonne von dem Gi rokonto, das der Unbekannte auf mei nen Namen eröffnet hatte. Sie lauschte mit versteinerter Miene.
»Sonst noch was?«, fragte sie dann.
»Ja.« Jesse warf den Block auf den Schreibtisch.
EVAN WÜRDE SO WAS NIE TUN, hatte er mit schwarzer Tinte geschrieben. Lavonne starrte auf die Lettern. Ich musste unwillkürlich lächeln.
»Prägnant wie immer, Mr. Blackburn«, sagte sie.
»Karen Jimson sucht in der falschen Richtung«, erklärte er.
»Der Mei nung bin ich auch.«
Ich fühlte mich unendlich erleichtert. »Du glaubst mir also.«
»Ja. Ich rede mit Karen.« Sie klappte den Ord ner zu und warf Jesse einen bedrückten Blick zu. »Du weißt ja, in welche Richtung sie sich dann orientieren wird.«
»Dem wird sich mein Bruder stellen müssen«, sagte Jesse.
»Tut mir leid.«
Ihre widerspenstigen Locken glänzten in der Sonne. Sie wirkte nachdenklich.
»Mit der ganzen Sache stimmt was nicht«, sagte sie. »Ich glaube, dass eine den Jimsons nahestehende Person mit den gestohlenen Schecks und dem Identitätsbetrug zu tun hat. Und damit meine ich nicht deinen Bruder, Jesse.«
»Wen dann?«, fragte er.
Sie beugte sich vor. »Nimm dich vor Karens Tochter in Acht.«
Draußen rauschte der Verkehr vorbei. Autos hupten. Lavonne wirkte todernst.
»Das sage ich nicht als Anwältin, sondern als Mutter.« Sie deutete mit dem Kopf auf die Fotos ihrer Töchter Yael und Devorah. »Die Mädchen sind mit Sin zur Highschool gegangen. Und ich kenne Ricky schon ewig.«
»Ewig?«
»Das war, bevor Karen und Charlie auf der Bildfläche erschienen.«
Sie wies auf das Foto ihres Mannes. Charlie Goldman trug Brille und Fliege und lächelte sanft, aber zerstreut. Er war Professor für klassische Philologie an der Uni. Jesse und ich starrten sie an.
»Mund zu«, befahl sie. »Ich hab nicht immer ausgesehen wie ein aufgewärmter Tortilla-Wrap. Als junges Mädchen war ich eine heiße Nummer. Aber mir geht es um Sin. Die ist ein Problem, seit Ricky und Karen geheiratet haben.«
Wir kriegten den Mund immer noch nicht zu.
»Die anderen Eltern waren ihretwegen
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