Gefürchtet
Auftritt hatte traurigen Ruhm erlangt. Er merkte mir an, dass ich mich erinnerte. Seine Miene verdüsterte sich.
Sechsundzwanzig Millionen Menschen hatten live zugeschaut. Grelles Scheinwerferlicht, ein tobendes Publikum, Kameraschwenk über die Bühne. Shaun attackierte mit wütender Energie einen Rockklassiker und verausgabte sich dabei derart, dass er am Ende völlig durchgeschwitzt war. Nicht feucht, sondern tropfnass. Dunkle Flecken malten sich in seinen Achselhöhlen, sein T-Shirt klebte wie eine zweite Haut am Körper, und das Wasser floss ihm in Strömen über Gesicht und Hals.
Die Jury nahm kein Blatt vor den Mund. »Tolle Stimme, aber dein Deo taugt nichts.«
Neugierig geworden, näherte ich mich der Tür des Apartments. Es war mei ne erste Begegnung mit einer Fleisch gewordenen Schlagzeile der Boulevardpresse. »Schwitze-Shaun fliegt raus«, hatte die damals getitelt.
Er hob abwehrend die Hände. »Jetzt nicht! Ich habe Jetlag, und wir trauern alle um Brittany.«
Das durfte doch nicht wahr sein. Der Kerl dachte, ich wollte ein Autogramm. Die merkwürdige Ausstrahlung verstärkte sich.
»Britt war bei der Vorausscheidung zu Rock House mein bester Kumpel. Es ist furchtbar.«
»Ich wusste gar nicht, dass sie dabei war«, sagte ich.
Er rammte die Hände in die Hosentaschen. »Sie ist ziemlich früh ausgeschieden, aber sie war mein größter Fan - während der Show und danach.«
Die Stimmen im Apartment näherten sich. »Wer ist das, Shaun?«, fragte ein Mann.
Seine Jadeaugen fixierten mich. »Die Schnüfflerin von hinter dem Haus.«
Das eigenartige Gefühl wurde überwältigend. Schlagartig wurde mir klar, dass ich ihm bereits im richtigen Leben begegnet war. Doch bevor ich etwas sagen konnte, stieß eine Hand die Tür vollends auf. Der Hüne erschien. Seine Kiefer mahlten.
»Wenn Sie irgendwas über mei ne Tochter wissen wollen, reden Sie gefälligst mit mir. Ich bin Ted Gaines.«
Ich sah ihm an, dass er ihre Leiche identifiziert hatte. Trotz seines massigen Körperbaus wirkte er völlig aus dem Gleichgewicht. Es war mir ein Rätsel, wie er sich überhaupt auf den Beinen halten konnte.
»Mein Beileid«, sagte ich.
»Sind Sie eine Freundin von Brittany?«
Hinter ihm putzte sich die Mitbewohnerin die Nase. »Die war Freitagnacht hier und hat PJ gesucht. So gegen Mitternacht.«
Die Haltung von Gaines und Kutner ver änderte sich schlagartig. Plötzlich schienen sie die Türöffnung vollständig auszufüllen. Kutner nahm die Hände aus den Taschen, Gaines’ Blick wurde merklich kühler.
»Was wollen Sie von dem?«, fragte er.
»Ich wette, sie steht für ihn Schmiere«, tönte Shaun.
»Ganz bestimmt nicht«, protestierte ich.
»Und ob! Die hängt hier rum und gibt ihm Bescheid, sobald die Luft rein ist.« Sein Blick wanderte an mir vorbei zur Straße. »Ich werd nicht mehr! Da ist er ja.«
Gaines trat in die Tür. »Wo?«
»Das Arschloch da.« Shaun drängte sich an mir vorbei nach draußen.
Ich drehte mich um. Falls PJ zurück war, war er erledigt. Aber ich konnte weit und breit kei ne Spur von ihm entdecken. Dann begriff ich voller Entsetzen: Shaun rannte zu meinem Auto.
Jesse hielt das Handy ans Ohr und hatte die Baseballkappe tief ins Gesicht gezogen. Da sich zudem noch die sinkende Sonne im Fenster spiegelte, war es ein verständlicher Irrtum.
Ich setzte mich in Bewegung, aber Gaines fasste mich am Arm. »Hiergeblieben.«
»Das ist nicht PJ!« Ich versuchte, mich zu befreien.
Shaun stürzte über den Gehweg auf das Auto zu. Ich rief Jesses Namen, aber Shaun hatte bereits die Tür aufgerissen und Jesse am Arm aus dem Explorer gezerrt.
Als ich Jesse auf dem Boden aufschlagen sah, packte mich
die Wut. Ich stieß Ted Gaines gegen die Wand und rannte zum Wagen. Shaun hatte sich mit puterrotem Gesicht über Jesse aufgebaut und brüllte Beschimpfungen. Dann holte er aus und trat ihm in die Rippen.
Dicht hinter mir hörte ich Ted Gaines. Jesse lag auf dem Rücken, ein Bein zwischen Tür und Rahmen eingeklemmt. Er konnte sich nicht rühren und schon gar nicht aufstehen. Shaun schrie wie ein Wahnsinniger. »Alles deine Schuld! Deinetwegen ist sie tot!« Er holte erneut aus.
Jesse biss die Zähne zusammen. Als Shaun zutrat, schnappte er sich sein Bein, hakte sich mit dem Ellbogen fest und rollte sich zu ihm herum.
»Ich brech dir das Knie!«, drohte Jesse.
Shaun stand der Schaum vor dem Mund. »Du Dreckskerl! Deinetwegen ist sie auf die Party gegangen! Und jetzt ist sie tot.«
»Noch
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