Gegen alle Feinde - Clancy, T: Gegen alle Feinde - Against All Enemies
Moore rekapitulierte die Ereignisse, bevor er sich nach Saidpur zurückzog. Er hatte zusammen mit drei von ihm alarmierten CIA -Agenten, einem speziellen Forensik-Team und zwei Kriminaltechnikern das Hotel und seine Umgebung genau untersucht. Sie hatten dabei darauf geachtet, die privaten Sicherheitsleute des Hotels, die örtliche Polizei und ein Team des pakistanischen Geheimdiensts an ihren Untersuchungen zu beteiligen. Gleichzeitig hatten sie den herbeigeeilten Reportern der Associated Press einen stetigen Strom von Desinformationen geliefert. CNN berichtete daraufhin in den Nachrichten, dass in dem Hotel eine Taliban-Bombe hochgegangen sei. Diese hätten auch bereits die Verantwortung dafür übernommen. Mit dem Anschlag wollten sie sich für die Tötung von Mitgliedern einer mit ihnen verbündeten sunnitischen Extremistengruppe namens Sipah-e-Sahaba rächen, die angeblich Schiiten umgebracht hatten. Auch ein pakistanischer Armeeoberst sei versehentlich diesem Attentat zum Opfer gefallen. Die Namen der beteiligten Gruppen waren schwer auszusprechen und die berichteten Umstände überaus vage. Moore war überzeugt, dass die Geschichte mit jedem Pressebericht komplizierter und unübersichtlicher werden würde. Seine Kollegen in diesem Raum hatten nichts bei sich gehabt, das sie als Amerikaner oder gar als Mitglieder der CIA identifiziert hätte.
Als er jetzt auf diesem Balkon über der Stadt stand, hörte er plötzlich eine Stimme sagen: »Ich kann ihr Leben nicht einfach so aus dem Lot bringen. Meine Söhne gehen beide noch auf die Oberschule. Meine Frau wurde gerade erst befördert. Sie arbeitet in dem Technikzentrum ganz hier in der Nähe. Pakistan ist unsere Heimat. Die werden wir auch niemals verlassen.«
Moore umklammerte das steinerne Geländer, lehnte sich darüber und übergab sich. Er stand nur da, mit seinem Kinn auf den Arm gestützt, und wartete, bis dieser Anfall von Übelkeit vorüberging. Seine Seele wollte sich anscheinend von alldem befreien, auch den schlimmen Erinnerungen aus seiner Vergangenheit, die dieser Vorfall wieder geweckt hatte. Dabei hatte er jahrelang ver sucht, sie zu verdrängen. Sie hatten ihn in zahllosen schlaflosen Nächten verfolgt. Immer wieder musste er dabei gegen den Drang ankämpfen, den einfachen Ausweg zu wählen und den Schmerz einfach in Alkohol zu ertränken … In letzter Zeit hatte er sich einzureden versucht, dass er dies alles endlich überwunden und verdaut hätte.
Und jetzt das. Er kannte seine Agentenkollegen erst seit ein paar Wochen und hatte nur einen professionellen Umgang mit ihnen gepflegt. Zwar bedauerte er auch ihren Tod zutiefst, aber es war Khodai, der Oberst in seinem ethischen Konflikt, um den er jetzt am tiefsten trauerte … Moore hatte ihn in den vergangenen Tagen recht gut kennengelernt, und sein Tod berührte ihn jetzt ganz besonders. Wie würde Khodais Neffe auf den Verlust seines Onkels reagieren? Der Leutnant hatte geglaubt, beiden Männern zu helfen, indem er sie miteinander bekannt machte. Er musste gewusst haben, dass Khodai sich durch seine Gespräche mit Moore in Gefahr brachte. Dass jemand ihn umbringen würde, hatte er jedoch bestimmt nicht gedacht.
Moore hatte versprochen, Khodai und seine Familie zu beschützen. Auch in dieser Hinsicht hatte er vollkommen versagt. Als die Polizei vor einer Stunde in Khodais Haus eintraf, fand sie seine Frau und Söhne tot vor. Sie waren erstochen worden, und der Agent, der auf sie aufpassen sollte, war verschwunden. Die Taliban hatten offensichtlich ihre Ohren überall, nichts in dieser Stadt schien ihnen zu entgehen. Moore und seine Leute hatten dagegen wohl keine Chance. Zwar sprach jetzt die Depression aus ihm, aber die Taliban waren ihnen tatsächlich immer einen Schritt voraus gewesen. So sehr er auch versucht hatte, sich als Einheimischen auszugeben, indem er sich einen Bart wachsen ließ, die örtliche Kleidung trug und möglichst nur noch die Landessprache benutzte, hatten sie doch herausgefunden, wer er war und was er vorhatte.
Er wischte sich den Mund ab und richtete sich wieder zu voller Größe auf. Noch einmal schaute er auf die Stadt und den aufsteigenden Rauch hinunter. Er schluck te hart, nahm all seinen Mut zusammen und flüsterte: »Es tut mir leid.«
E inige Stunden später sprach Moore über eine gesicherte Videoverbindung mit Greg O’Hara, dem stellvertretenden Direktor des National Clandestine Service, der CIA -Abteilung, die weltweit sämtliche Geheim diensteinsätze
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