Gegen alle Feinde - Clancy, T: Gegen alle Feinde - Against All Enemies
gefährlicher und raffinierter als die Mörderbanden aller anderen mexikanischen Drogenkartelle. Corrales witzelte gerne, dass sie mit ihrer Kleidung und ihren Umgangsformen nur ihrem Machismo den letzten Schliff verleihen wollten.
Corrales wusste, dass ein Teil der Ladung direkt an die mexikanisch-amerikanische Grenze verfrachtet worden war, um dort durch die Wüste von Brewster County nach Texas geschmuggelt zu werden. Er hatte gerade erst von seinem dortigen Unterführer Juan per Telefon erfah ren, dass es dabei Probleme gegeben habe. Sein Team sei nämlich auf zwei Grenzschutzbeamte gestoßen. Einer der Jungs, die Juan für diese Aktion angeheuert hatte, habe dann einem der Grenzer den Kopf abgehackt.
»Wie zum Teufel konnte das passieren?«, fluchte Corrales in sein Handy und überschüttete Juan mit einem Schwall von Schimpfwörtern und Beleidigungen. Als er sich wieder etwas beruhigt hatte, erinnerte er ihn daran, dass er auf keinen Fall Leute von außen bei solchen Aktionen einsetzen dürfe. Juan verteidigte sich, er habe keine andere Wahl gehabt, weil zwei seiner Männer nicht aufgetaucht seien. Wahrscheinlich seien sie betrunken oder high gewesen.
»Das nächste Begräbnis, an dem du teilnimmst, wird dein eigenes sein«, drohte Corrales seinem Unterführer und beendete das Gespräch. Nach ein paar weiteren Flüchen zog er den Kragen seines schicken Leder- Trenchcoats zurecht und zupfte ein paar Fussel von seiner Armani-Hose.
Du solltest dich wirklich nicht so gehen lassen, tadelte er sich selbst. Schließlich führte er ein gutes Leben. Mit seinen 24 Jahren gehörte er bereits zu den Top-Capitanos eines großen Drogenkartells und hatte bisher 14 Millionen Pesos, immerhin mehr als eine Million US -Dollar, verdient. Das war ziemlich beeindruckend für jemand, der in Juárez in Armut als einziger Sohn eines Zimmermädchens und eines Hausmeisters aufgewachsen war, die beide in einem billigen, heruntergekom menen Hotel gearbeitet hatten.
Der Rußgestank der ausgebrannten Tankstelle drückte Corrales jedoch aufs Gemüt, denn er erinnerte ihn an die schlimmste Nacht seines Lebens. Er war damals 17 Jahre alt und gerade erst einer Gruppe von Oberschü lern beigetreten, die sich selbst Juárez 8 nannte und kindischerweise den Sicarios des Juárez-Kartells die Stirn bieten wollte, die immer wieder ihre Freunde mit nackten Drohungen zur Mitarbeit zwangen. Viel zu viele bezahlten dann ihre Dienste für das Kartell mit dem Leben. Er und seine Freunde hatten beschlossen, etwas dagegen zu unternehmen.
Eines Nachmittags lauerten zwei Burschen Corrales hinter einem Müllcontainer auf und warnten ihn, man werde seine Eltern umbringen, wenn er seine eigene »Gang« nicht verlasse und den Los Caballeros beitrete. Corrales konnte sich immer noch an die Augen eines dieser Dreckskerle erinnern, die ihn in der Düsternis dieser Seitengasse wie Kohlen in einem Feuerofen angeglüht hatten. Auch die Stimme dieses Punks vermeinte er immer noch zu hören: Wir werden deine Eltern umbringen.
So leicht hatte er sich jedoch nicht einschüchtern lassen. Er brüllte sie an, sie sollten abhauen. Als er zwei Tage später nach einer durchzechten Nacht nach Hause zurückkehrte, stand das Motel in Flammen. Noch am gleichen Tag barg man die verbrannten Leichen seiner Eltern aus den Trümmern. Man hatte sie mit Klebeband gefesselt und danach das Gebäude angezündet.
Bei ihrem Anblick drehte er durch. Er packte die Pistole eines Kumpels, schwang sich in ein Auto und raste auf der Suche nach den Drecksäcken, die sein Leben ruiniert hatten, durch die ganze Stadt. Schließlich kam sein Wagen ins Schleudern und krachte in einen Zaun. Er ließ ihn dort stehen und betrank sich in einer benachbarten Bar bis zur Besinnungslosigkeit. Schließlich brach er dort in der Toilette zusammen. Die Polizei lieferte ihn dann bei Verwandten ab.
Nachdem er einige Zeit bei seiner Patentante gelebt und neben seinem Schulunterricht als Hausmeister gearbeitet hatte, wurde ihm klar, dass er wie seine Eltern das ganze Leben lang arbeiten würde, ohne jemals der Armut zu entkommen. Diese Vorstellung war ihm unerträglich.
Er hatte keine andere Wahl. Er würde sich genau der Bande anschließen, die seine Eltern getötet hatte. Diese Entscheidung fiel ihm außerordentlich schwer, aber die Arbeit für Los Caballeros war der einzige Ausweg aus den Slums. Da er viel klüger und wohl auch skrupelloser als die gewöhnlichen Gangmitglieder war, machte er schnell Karriere
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