Gegen alle Feinde - Clancy, T: Gegen alle Feinde - Against All Enemies
agierten wie die Kartelle. Sowohl die Taliban als auch die Drogenkartelle genossen viel mehr Vertrauen in der Bevölkerung als die Regierungen und ganz gewiss mehr Vertrauen als die ausländischen Eindringlinge. Sowohl die Taliban als auch die Kartelle wussten, welche Macht ihnen der Drogenhandel verlieh, und sie gebrauchten diese Macht, um sich die Unterstützung unschuldiger Zivilisten zu sichern, die von ihren Regierungen im Stich gelassen oder einfach nur ignoriert wurden. Moore wusste, dass es schwer war, apolitisch zu bleiben, wenn man es mit einer Regierung zu tun hatte, die korrupter war als die Führung ihrer Feinde, die man eigentlich eliminieren sollte.
Allerdings durfte Moore bei alldem auch nicht die Gräuel vergessen, die diese beiden Gruppen begangen hatten.
Er blätterte einige Tatortfotos durch, auf denen Beamte der mexikanischen Bundespolizei in ihrem eigenen Blut lagen, wobei einige niedergeschossen worden waren, während man anderen die Kehle durchgeschnitten hatte. Er betrachtete voller Entsetzen die Aufnahme von zwei Dutzend Immigranten, denen man die Köpfe abgeschlagen hatte, um deren kopflose Leichen danach in einem alten Schuppen aufeinanderzustapeln. Die Köpfe waren bis heute nicht gefunden worden. Einen Sicario hatten sie vor seinem Haus gekreuzigt und das Kreuz dann in Brand gesetzt, sein Vater und seine Geschwister mussten zusehen.
Die Brutalität der Kartelle war maßlos. Moore hatte den heimlichen Verdacht, dass seine Bosse ihm noch gar nicht offenbart hatten, was sie wirklich von ihm erwarteten. Der schlimmste Albtraum aller US -Amerikaner wäre es, wenn diese Gewalt den Weg über die Grenze finden würde. Allerdings war das wohl nur noch eine Frage der Zeit.
Als er auf seinem Telefon nachschaute, fand er drei E-Mails von Leslie Hollander vor. In der ersten bat sie ihn, ihr mitzuteilen, wann er nach Kabul zurückkehren werde. In der zweiten fragte sie ihn, ob er ihre erste E-Mail erhalten habe.
In der dritten wollte sie dann wissen, warum er sie ignorierte. Sollte er ihr doch noch antworten, würde sie ihn erwarten und ihn, wie sie es in aller Dezenz ausdrückte, so lange ficken, bis er nur noch wie ein o-beiniger Cowboy gehen könne.
Leslie arbeitete im Pressebüro der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit der US -Botschaft zuerst in Islamabad und seit einiger Zeit in Kabul. Sie war 27 Jahre alt, sehr schlank, dunkelhaarig und Brillenträgerin. Auf den ersten Blick hatte sie Moore für eine verklemmte Büromaus gehalten, deren Jungfernschaft intakt bleiben würde, bis irgendein blasser übergewichtiger Buchhalter (also ihr männliches Gegenstück) vorbeikommen und sie ihr nach einer zweistündigen Diskussion nehmen würde, in der sie zuerst den Sex an und für sich analysieren und sich danach über die einzunehmende Beischlafposition einigen würden. Der Akt selbst wäre dann eher klinisch und würde beide in keiner Weise befriedigen.
Aber, mein lieber Gott, als sie ihre Bluse ausgezogen und ihre Brille abgenommen hatte, zeigte sich bei Ms. Hollander ein bemerkenswerter Widerspruch zwischen ihrer äußeren Erscheinung und der tief in ihr schlummernden Sinnlichkeit. Moore war stets von den gemeinsamen Exzessen überwältigt, wenn er es einmal nach Kabul schaffte, um dort ein Wochenende mit ihr zu verbringen. Allerdings kannte er bereits das Ende dieses Films, da seinem privaten Drehbuchschreiber inzwischen die Ideen ausgegangen waren: Der Junge erzählt dem Mädchen, dass sein Job zu wichtig sei und er deshalb die Beziehung mit ihr abbrechen müsse. Der Junge muss der Arbeit wegen die Stadt verlassen und weiß nicht, wann er zurückkehren wird. Aus dem Ganzen wird also wie üblich nichts werden.
Interessanterweise hatte er ihr all das bereits bei ihrem ersten gemeinsamen Abendessen erklärt. Er benötige sie erst einmal als Informationsquelle, und wenn die Operation, an der er gerade beteiligt sei, erfolgreich verlaufe, dann könne man ja einmal sehen. Allerdings erlaube ihm seine Karriere im Moment keine festen Langzeit-Beziehungen.
»Okay«, war ihre lapidare Antwort.
Moore hätte sich fast an seinem Bier verschluckt.
»Hältst du mich für eine Schlampe?«
»Nein.«
»Nun, ich bin aber eine.«
Er hatte gegrinst. »Nein, du weißt nur, wie man Männer manipuliert.«
»Und, wie bin ich?«
»Ziemlich gut, aber bei mir musst du dich gar nicht so sehr anstrengen.«
»Hey, Mann, schau doch, wo wir hier sind. Kabul gehört ja nicht gerade zu den zehn besten Plätzen,
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