Gegen alle Zeit
Dreck, und an den Wänden hingen einige Ölbilder und Federzeichnungen, die so dunkel angelaufen waren, dass kaum noch etwas auf ihnen zu erkennen war.
»Guten Morgen, Ma’am«, hörte Bess eine männliche Stimme aus einer dunklen Ecke des Zimmers, die auch deshalb so duster war, weil sie durch einen riesigen Wandschirm vom Rest des Schankraums abgetrennt war. »Die Sauermilch würde ich nicht probieren, wenn Euch Euer Magen lieb ist. Sie schmeckt, als hätte der Wirt die Kuh an der falschen Stelle gemolken.« Er lachte über seinen Witz und setzte hinzu: »Aber der Brei ist genießbar, auch ohne Zähne.«
»Ich habe meine Zähne noch, danke, Sir«, antwortete Bess und fragte sich, wieso ihr die Stimme und der spöttische Tonfall so bekannt vorkamen.
»Wollte Ihr Euch nicht zu mir setzen, Elizabeth?«
»Wer seid Ihr?«, reagierte Bess alarmiert und hätte sich beinahe an dem Porridge verschluckt. »Woher kennt Ihr meinen Namen?«
»Ich vergesse nie ein hübsches Gesicht«, antwortete der Mann, der in seiner dunklen Ecke verharrte und sich nicht zeigte. »Auch wenn ich mich dem Anschein nach nicht dafür interessiere. Das erhöht bekanntlich nur den Genuss.«
Bess erinnerte sich an Tessas Worte vom gestrigen Abend und fragte: »Ihr seid der Doktor, nicht wahr?«
»Ay, Ma’am. John Arbuthnot, Doktor der Medizin und Stümper vor dem Herrn, ganz zu Diensten.« Er stand auf, verbeugte sich feierlich und setzte sich wieder. »Ich hoffe, Ihr braucht meinen ärztlichen Beistand nicht.«
»Dr. Arbuthnot!«, entfuhr es Bess, als sie sein Gesicht sah, auf dem das Schelmengrinsen wie eingemeißelt war. »Was macht Ihr denn hier?«
»Frühstücken«, antwortete der Doktor, »und warten. Aber es wäre mir viel lieber, es in Eurer Gesellschaft zu tun, mein hübsches Kind. Wir haben uns lange nicht gesehen. Arbeitet Ihr jetzt in diesem Inn?«
»Auf wen oder was wartet Ihr?«, fragte Bess zurück, setzte sich wie gewünscht zum Doktor an den Tisch und starrte wie fasziniert auf ihren Porridge, um dem forschenden Blick des Mannes auszuweichen.
»Ihr antwortet mit einer Gegenfrage, sehr gut!«, lachte Dr. Arbuthnot und kratzte sich den Schädel, auf dem sein lichtes Haupthaar in Fransen unter der Ballonmütze hervorschaute. »Das bedeutet, dass ich einen wunden Punkt getroffen habe. Wie schön! Doch ich will Euch nicht unnötig quälen.« Er räusperte sich und sagte: »Worauf ich warte? Auf den Herzog natürlich. Oder genauer gesagt, auf seine Gemahlin. Denn es ist die Herzogin, die ich kurieren soll. Ihre Gnaden leiden an einer Krankheit, die es vermutlich nur im Hochadel gibt: Sterbenslangeweile infolge übermäßiger Beschäftigungslosigkeit.«
Bess schaute ihn fragend an.
»Ihr wisst vermutlich, dass die Herzogin früher einmal eine durchaus talentierte Schriftstellerin und Malerin war?«, erklärte der Doktor und schenkte sich Porter aus einer Karaffe nach. »Immerhin ist sie die Tochter eines Naturwissenschaftlers. Selbstverständlich war sie damals noch keine Herzogin, sondern einfach Mistress Cassandra Willoughby.«
»Und warum wartet Ihr ausgerechnet hier auf den Herzog?«, wunderte sich Bess. »Warum seid Ihr nicht in Cannons House?«
»Weil der Palast verlassen ist«, antwortete der Doktor achselzuckend. »Sieht man einmal von ein paar Knechten, Hausdienern, Wachleuten und Gärtnern ab. Eigentlich wollte Chandos bereits vor drei Tagen in Little Stanmore sein, aber irgendetwas scheint ihn in Nottinghamshire aufgehalten zu haben. Der Herzog verbringt nämlich die meiste Zeit des Jahres auf dem Familiensitz seiner Frau in Wollaton Hall. Cannons ist viel zu groß und zu teuer, um es das ganze Jahr zu bewirtschaften. Der arme Herzog muss lernen hauszuhalten, und das ist weder nach seinem Geschmack noch eine seiner Stärken.«
»Ich hab davon gehört«, erwiderte Bess nickend, während Tessa die Spiegeleier und den gebratenen Speck brachte. »Es soll angeblich keine Kapelle mehr in Whitchurch geben. Deshalb ist das Gasthaus auch so leer.«
»Wann habt Ihr Cannons … verlassen?« Der Doktor zögerte merklich, bevor er das letzte Wort aussprach, und es war offenkundig, dass er ein anderes, vermutlich deutlicheres Wort für Bess’ unrühmlichen Abschied von Cannons House bevorzugt hätte.
»Vor drei Jahren«, antwortete Bess. »Damals lebte der Herzog noch in Saus und Braus. Und sein Haus war voller Künstler und Musiker. Über achtzig Menschen zählten zu seinem Haushalt.«
»Alles auf Pump, meine Liebe!
Weitere Kostenlose Bücher