Gegen alle Zeit
verstand.
»Eigentlich ging es um exotische Früchte, Gewürze oder Sklaven«, fuhr der Doktor fort. »Alles, was es in der Südsee eben so zu holen gibt. Nur dass die Südseekompanie gar nicht erst damit gehandelt hat. Sie hat nur so getan als ob, aber das hat gereicht, um die Aktien in die Höhe schießen zu lassen und enorme Gewinne zu erwirtschaften. Mit Billigung der Regierung und des Königs übrigens.«
»Und was hat das mit dem Herzog zu tun?«, wollte Bess wissen, die noch nie so recht verstanden hatte, was es mit diesen Aktien und der Londoner Börse auf sich hatte. Vielleicht weil sie sich über Geld keine Gedanken zu machen brauchte – sie besaß ja ohnehin keines.
»Chandos hatte gerade enorme Summen für seinen schmucken Palast und den ganzen Firlefanz in der Kirche ausgegeben«, erklärte Dr. Arbuthnot und schob bedeutsam die Unterlippe vor. »Angeblich hat das Anwesen zweihunderttausend Pfund gekostet und noch mal fünfzigtausend für die Innereien, das muss man sich mal vorstellen. Und irgendein schlauer Gimpel scheint ihm weisgemacht zu haben, dass er sich das Geld auf simple Weise zurückholen kann. Mit Aktien der Südseekompanie, die damals geradezu explodierten, obwohl niemand wusste, wieso eigentlich.« Er lachte spöttisch und schüttelte den Kopf. »Nur ein halbes Jahr später flog der ganze Schwindel auf, die Aktien stürzten ab, und der Herzog war leider nicht so klug wie die Ratten, die es riechen können, wenn ein Schiff unterzugehen droht. König George war, nebenbei bemerkt, eine solche Schiffsratte, rein bildlich gesprochen, versteht sich. Der Herzog war nicht so schlau, er hat die Aktien bis zum Schluss behalten und alles verloren. Buchstäblich alles . Und er war beileibe nicht der Einzige. Erinnert Ihr Euch an meinen Freund John Gay?«
Bess nickte eifrig und begann zu begreifen. Sie erinnerte sich, was Colonel Charteris über den Dichter berichtet hatte: Mr. Gay habe bei einer Börsenspekulation nicht nur sein ganzes Geld, sondern beinahe auch den Verstand verloren.
»Mr. Gay ist beim Grafen von Burlington untergekommen«, sagte Bess.
»Das wisst Ihr?«, wunderte sich der Doktor und beugte sich über den Tisch. »Tut mir den Gefallen und erzählt es nicht herum. Der gute John braucht ein wenig Ruhe. Nicht nur vor seinen Gläubigern.« Er tat so, als tränke er aus einer Flasche, und verdrehte die Augen.
Wieder nickte Bess. Doch plötzlich kam ihr ein anderer Gedanke in den Sinn, der sie zusammenfahren ließ, und entsetzt hielt sie sich die Hand vor den Mund.
Dr. Arbuthnot erschrak und fragte: »Was ist mit Euch?«
»Wann war diese Südseeblase?«, rief sie aufgeregt.
»Ende 1720 stürzte der Kurs ins Bodenlose«, antwortete der Doktor irritiert. »Und 1721 war dann alles vorbei. Jedenfalls für die Anteilseigner. Ob Ihr’s glaubt oder nicht, die elende Südseekompanie gibt’s heute immer noch und geht ungestraft ihren faulen Geschäften nach.«
»1721?«, murmelte Bess nachdenklich.
»Gewiss. Wieso fragt Ihr?«
»Könnte diese Sache etwas mit dem Tod meines Mannes zu tun haben?«
»Euer Mann?« Dr. Arbuthnot zog die Stirn kraus. »Meint Ihr den Küster von Whitchurch? Besaß er denn Aktien?« Er hob die Achseln und setzte hinzu: »Viele haben sich damals aus Verzweiflung das Leben genommen, aber ich dachte immer, Euer Mann wäre …« Er kam nicht mehr dazu zu sagen, was er dachte, denn in diesem Moment wurde er von Mr. Milton unterbrochen.
»Seid Ihr die Witwe Lyon?«, fragte dieser Bess und warf sich in die Brust, als wollte er sich zum Kampf bereitmachen. Bereits während des Gesprächs über die Südseeblase hatte er sich zögerlich dem Tisch hinter dem Wandschirm genähert, doch weder Bess noch Dr. Arbuthnot hatten ihm Beachtung geschenkt. Vielleicht hatte er sich lediglich für den Gin bedanken oder um Nachschub bitten wollen. Doch nun stolperte er regelrecht nach vorne und beugte sich über den Tisch, dass sowohl Bess als auch Dr. Arbuthnot erschrocken zurückwichen.
»Vater!«, rief Tessa hinter dem Schanktisch. »Was soll das?«
»Milton!«, rief eine weitere Stimme von der Tür. Der Wirt hatte just in dem Augenblick den Schankraum betreten, als Tessas Vater sich über den Tisch geworfen hatte und Dr. Arbuthnot zu bedrohen schien. »Raus mit dir, du Saufkopf! Aber plötzlich! Sonst prügel ich dir alle Knochen im Leib kaputt! Was fällt dir ein, meine Gäste zu belästigen. Los, raus!«
Doch Mr. Milton verharrte am Tisch, hob abwehrend und
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