Gegen alle Zeit
Schon damals hatte der Herzog einen Großteil seines Geldes verloren, er wollte es nur noch nicht wahrhaben. Es ist eben nicht so einfach, sein pompöses Leben umzustellen, nur weil man es sich dummerweise nicht mehr leisten kann.« Er hob die Augenbrauen, tupfte sich etwas Eigelb vom Kinn und fügte hinzu: »Eine Zeit lang mussten die herzoglichen Musiker gleichzeitig als Hausangestellte und Diener in Cannons House arbeiten, aber das war natürlich keine Lösung. Entweder waren sie gute Dienstboten und schlechte Musiker oder gute Musiker und schlechte Dienstboten.« Dr. Arbuthnot lachte plötzlich und wies mit ausgebreiteten Armen auf die rußgeschwärzten Wände ringsum. »Habt Ihr Euch nie gefragt, warum die besten Musiker des Landes, ja von ganz Europa, in einer Kaschemme wie dieser untergebracht waren?«
Bess zuckte mit den Schultern. Sie hatte sich tatsächlich nie Gedanken darüber gemacht und stellte deshalb jetzt die Frage: »Warum?«
»Weil es billiger war, dem Wirt des Little Stanmore Inn ein paar Pfund die Woche in die Hand zu drücken, als den gesamten Tross der Musiker im Palast unterzubringen und zu verköstigen!« Der Doktor schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, dass der Speck von seinem Teller fiel. »Bereits als Ihr noch in Cannons gearbeitet habt, war der Herzog so gut wie bankrott. Alles nur schöner Schein! Wenn er all seine derzeitigen Schulden auf einen Schlag bezahlen müsste, käme er nicht umhin, die gesamten Ländereien und Häuser zu verkaufen. Samt Inventar und Deckenbemalung. Und vermutlich bliebe immer noch ein Fehlbetrag übrig.«
»Aber wieso?«
»Habt Ihr schon mal etwas von der Südseeblase gehört?«
Bess schüttelte den Kopf und wollte etwas erwidern, doch im selben Augenblick öffnete sich die Eingangstür, und Tessas Vater wankte in den Raum. Mr. Milton wirkte noch zerzauster als am Vorabend, als er schnarchend auf der Bank gelegen hatte. In seinem Haar waren einzelne Strohhalme zu erkennen, sein Gesicht war auf der einen Seite schmutzig und voller Striemen, und sein Gehrock war grau vom Staub, was darauf schließen ließ, dass er die Nacht in einem der Ställe des Inns verbracht hatte.
Als Tessa ihren Vater sah, rief sie aufgebracht: »Du bist ja immer noch da! Ich hab dir doch gesagt, du sollst nach Hause gehen. Master Hornby und die Missis kommen bald aus London zurück. Sie wollten die Nachtkutsche nehmen und können jeden Augenblick hier auftauchen. Wenn sie dich in der Schänke sehen, dann gibt’s ein Donnerwetter!«
»Ach was! Mr. Hornby kann mich mal«, grunzte Mr. Milton und wehrte wild gestikulierend mit der Hand ab, was ihm beinahe das Gleichgewicht nahm und ihn fast zu Boden gehen ließ. »Komm schon, Tessa. Nur noch einen für den Weg!«
»Kommt gar nicht infrage!«
»Bitte, Töchterchen! Nur einen Gin. Ich flehe dich an.«
»Nein hab ich gesagt!«
»Um Himmels willen, Mädchen, nun gib dem Mann schon seine Medizin! Er scheint sie nötig zu haben«, rief Dr. Arbuthnot dem Schankmädchen zu und haute auf den Tisch. »Ich zahle auch dafür, wenn ihr endlich mit eurem Gezeter aufhört.« Als die beiden Miltons vor Schreck oder Überraschung verstummt waren, wandte er sich wieder an Bess und fragte: »Wo waren wir stehengeblieben? Ach ja, bei der Südseeblase. Eine interessante und sehr lehrreiche Geschichte.« Er schien tatsächlich begierig zu sein, Bess mit seinen klugen oder spöttischen Reden zu unterhalten oder zu belehren. Vermutlich hatte er lange kein Publikum gehabt, und so fasste er die Gelegenheit beim Schopf. Auch wenn Bess nur die ehemalige Dienstmagd des Herzogs war und seine Ausführungen womöglich kaum zu schätzen wusste.
»Was für eine Blase soll das sein?«, fragte Bess nur leidlich interessiert, während sie gleichzeitig beobachtete, wie die sichtlich erboste Tessa ihrem Vater einen Becher mit Gin füllte, den dieser in einem Zug leerte und ihr zum sofortigen Wiederauffüllen hinstreckte. Seine Hand zitterte dabei merklich.
»Aktien, meine Liebe«, erwiderte der Doktor und fuchtelte mit seinem Messer in der Luft herum. »Das Gold unserer heutigen Zeit, nur dass sich Gold nicht so ohne Weiteres in Luft auflösen kann. Oder umgekehrt: Aus Luft lässt sich kein Gold machen, aber Aktien kann man daraus allemal herstellen. Eine ganz neue Form der Alchemie! Und genau das hat die South Sea Company getan, sie hat Geschäfte mit Luft gemacht, und alle wollten daran teilhaben.«
»Aha«, sagte Bess, obwohl sie nur die Hälfte
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