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Gegen alle Zeit

Gegen alle Zeit

Titel: Gegen alle Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
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Das Seltsame und Beunruhigende an diesen beiden Männern war eben, dass Bess nicht schlau aus ihnen wurde. Dass sie dem klaren und logischen Bild, das Bess sich von ihnen gemacht hatte, so plötzlich und unerwartet widersprachen. Dass sie, anders als die meisten Männer, nicht berechenbar waren.
    Für Bess hatte es von Beginn an auf der Hand gelegen, dass sowohl Blueskin als auch Henry von Mr. Wild beauftragt worden waren und sie als dessen Spitzel agierten. Bei Henry hatte sie sich lediglich gefragt, auf wen er eigentlich vom Diebesfänger angesetzt worden war, doch bei Blueskin konnte es keinen Zweifel geben: Er hatte Jack Sheppard verraten und in die Falle gelockt. Alles andere wäre zu eigenartig gewesen.
    Nur wenige Tage, nachdem Jack und Bess vor einigen Monaten, am Pfingstmontag, auf halsbrecherische Weise aus dem New Prison in Clerkenwell ausgebrochen waren, war plötzlich Blueskin Blake wie ein Theaterschauspieler aus der Versenkung erschienen und hatte die Handlung auf der Bühne an sich gerissen. Blueskin hatte es meisterlich verstanden, Jack gleichzeitig zu imponieren und zu schmeicheln, er war sowohl fauchend wie eine Katze als auch schwänzelnd wie ein Hund, verlor dabei aber nie sein Ziel aus den Augen. Blueskin war es gewesen, der Jack dazu überredet hatte, seinen alten Gönner und Meister, den Stoffhändler Mr. Kneebone, auszurauben. Und Blueskin hatte sich dafür starkgemacht, den erbeuteten Stoff ausgerechnet dem Hehler William Field anzubieten. Der daraufhin nichts Besseres zu tun hatte, als Mr. Wild aufzusuchen und die Diebe ans Messer zu liefern.
    Alles sprach gegen Blueskin. Schon als Junge hatte er in einer von Wilds Banden die Straßen unsicher gemacht und sich als Taschendieb erprobt. Später hatte er einige Monate in der Chick Lane gelebt, kannte sich dort aus und war mit Mr. Wilds Handlangern und Spitzeln vertraut. Vermutlich auch mit Mr. Field, dem verräterischen Hehler. Es war offensichtlich, dass Blueskin nur deshalb im Black Lion Inn erschienen war und Jacks Freundschaft gesucht hatte, um ihn Mr. Wild auf dem Tablett zu servieren. Allerdings gab es auch einige Ungereimtheiten in seinem Leben, etwa die Tatsache, dass die hässliche Narbe auf seinem dunklen Schädel von Mr. Wilds Attacke mit dem Schwert herrührte, er aber dennoch im Gefängnis vom Diebesfänger bezahlt und protegiert wurde. Blueskin war Bess unheimlich, sie misstraute ihm zutiefst, und nur ein gutmütiger und netter Kerl wie Jack Sheppard konnte auf so einen hinterhältigen Bastard hereinfallen.
    Doch dann tauchte Blueskin mit Henry Ingram in Wilds Haus auf, schlug Quilt Arnold und Mr. Wild nieder, ersäufte dessen Handlanger wie lästige Ratten – und alles nur, um Bess zu befreien und ihr das Leben zu retten. Das ergab schlicht und einfach keinen Sinn. Blueskin konnte Bess nicht ausstehen, das hatte er ihr oft genug und mehr als deutlich zu verstehen gegeben.
    Bei Henry sah die Sache etwas anders aus, seine Blicke und sein leidlich unterdrücktes Bedürfnis, Bess zu berühren oder nahe zu sein, hatten ihn längst verraten. Zumindest in dieser Hinsicht unterschied er sich nicht von den meisten Männern. Aber seltsamerweise war ihr Henrys unverkennbare Zuneigung nicht geheuer. Es setzte sie unter Druck und machte sie zu einer Art Schuldnerin. Sie würde sich ihm auf Dauer ergeben müssen, und sei es nur dem Anschein nach, um ihn unter Kontrolle zu bekommen oder gefügig zu machen.
    Der Gedanke daran war ihr zuwider. Nicht weil ihr Henry besonders zuwider war, sondern weil ihr all das Getue und Gehabe, das Betuppen und der ewige Schmu zum Hals heraushingen. Sie hatte genug davon. Ein für alle Mal.
    Mit kaltem Wasser wusch sie sich die quälenden Gedanken aus dem Gesicht, zog ein leichtes Kleid an, dessen freizügiges Dekolleté sie mit einem seidenen Brusttuch bedeckte, und ging hinunter in den Schankraum, um zu frühstücken. Die Tür zur Küche stand offen, und sie sah Tessa am Herd mit einer zischenden Pfanne hantieren.
    »Es gibt Eier mit Speck«, sagte das Schankmädchen, als sie Bess erblickte, und deutete zum Schanktisch, auf dem eine Holzschüssel und ein irdener Krug standen. »Und Porridge mit Sauermilch, wenn Ihr mögt.«
    »Ay«, antwortete Bess, bediente sich selbst und setzte sich an einen Tisch unter einem der beiden Fenster, durch deren milchiges Glas nur diffuses Licht drang. Im Raum stank es nach kaltem Rauch, ranzigem Schweiß und verschüttetem Bier, der Boden klebte und starrte vor

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