Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gegen alle Zeit

Gegen alle Zeit

Titel: Gegen alle Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
Vom Netzwerk:
den Kopf und erwiderte: »Könnt Ihr Euch einen Reim auf all das machen?«
    Als Antwort lachte der Doktor übertrieben laut, tippte sich an die Stirn und sagte: »Dafür reichen weder meine geistigen noch dichterischen Fähigkeiten.«
    Ein Blick in sein Gesicht überzeugte Bess vom Gegenteil. Seine angestrengte Miene und die Unfähigkeit, ihr in die Augen zu schauen, verrieten starkes Unbehagen. Bess war augenblicklich klar, dass er mehr wusste oder ahnte, als er vorgab, doch sie ließ es dabei bewenden und ging auf ihr Zimmer. Nach Sonnenuntergang würde sie schlauer sein, so hoffte sie.

5

    Der Tag war so nutzlos und ergebnisarm verlaufen, wie sie es am gestrigen Abend vorhergesehen und darüber in Verzweiflung geraten war. Nichts hatte sie erfahren oder erreicht, niemand hatte mit ihr sprechen wollen, und wäre nicht ihre nächtliche Verabredung mit Mr. Milton gewesen, hätte sie sich vermutlich sofort wieder auf den Weg nach London gemacht. Am Morgen hatte sie sich in einem unbeobachteten Moment mit dem Stallknecht Paul unterhalten und ihn nach den Ereignissen des Herbstes 1721 gefragt, doch er hatte lediglich behauptet, er habe damals noch nicht im Little Stanmore Inn gearbeitet und wisse nichts davon. Außerdem habe der Wirt ihm ausdrücklich verboten, mit Bess zu sprechen. Das galt natürlich auch für Tessa Milton, deren flehentlicher Blick Bess davon abhielt, irgendwelche Fragen zu stellen. Das arme Mädchen hatte es als Miltons Tochter schwer genug, und Bess wollte nicht dafür verantwortlich sein, dass sie ihre Anstellung verlor.
    Dr. Arbuthnot verließ kurz nach dem Mittagessen das Gasthaus, um sich die Beine zu vertreten und in Cannons nach dem Rechten zu schauen, wie er meinte, und nur eine Stunde später erschien eine der herzoglichen Kutschen beim Inn, um die Koffer und die Instrumententasche des Doktors zu holen. Offensichtlich waren Seine Gnaden, der Herzog, endlich in Cannons House angekommen, und der Doktor konnte mit der Behandlung Ihrer Gnaden, der Herzogin, beginnen und ihr die vornehme Langeweile kurieren.
    Bess fragte den Kutscher, den sie noch aus ihrer Zeit als Hausmagd in Cannons kannte, ob er so nett wäre, sie nach Whitchurch mitzunehmen, was dieser etwas zögerlich und sichtlich verunsichert bejahte. Auf dem Weg zum herzoglichen Palast saß Bess neben ihm auf dem Kutschbock, erfuhr jedoch nur, dass sich der Kutscher nach den guten alten Zeiten sehnte und ihm dieses ständige Hin und Her zwischen Middlesex und Nottinghamshire zum Halse heraushing. Von den ehemals sechs Kutschern seien nur noch zwei übrig, und sie müssten zu allem Überfluss auch noch in der Küche aushelfen. Früher sei alles viel besser gewesen, meinte er, erinnerte sich dann daran, wer neben ihm saß, und setzte seufzend hinzu: »Nun, vielleicht nicht alles, aber doch vieles.«
    Als sie an der Kirche von St. Lawrence ankamen, stieg Bess vom Bock, bedankte sich artig und schaute der Kutsche nach, die am nördlichen Kirchhof vorbeifuhr und in die breite Allee einbog, die zum Palast führte. Gestern Abend war das Anwesen in der Dunkelheit nicht zu sehen gewesen, doch jetzt erkannte Bess die wunderschöne und mit allerlei Säulen, Figuren und Ornamenten verzierte Südfassade des dreistöckigen Gebäudes, das jedes Herrenhaus in London in den Schatten stellte. Cannons House war gar nicht besonders groß oder ausladend, aber es waren die enorme Pracht und der Reichtum des Hauses, die seinen Reiz und seine Besonderheit ausmachten. Die Klinken und Schlösser waren aus Gold oder Silber, die breiten Treppen aus feinstem Marmor, die Wände und Decken allesamt von ausländischen Künstlern bemalt. Wie eine Kirche oder ein Tempel.
    Das Gebäude bestand aus vier Flügeln, die ein Quadrat bildeten und einen großen Hof rahmten, in dem eine Reiterstatue des Königs aufgestellt war. Jede der vier Fassaden unterschied sich von den jeweils anderen und war auf ganz eigene Weise außergewöhnlich. Auf der Südseite, zu der die beiden Alleen von Whitchurch und Edgworth führten, empfingen riesige Säulen über einer Freitreppe die Besucher, und über jeder dieser Säulen thronte die Statue einer Frauenfigur im wallenden Gewand auf dem Dach. Auf der Nordseite führte eine riesige Terrasse zu dem parkähnlichen Garten, der ebenso weitläufig war wie der in Burlington House, aber einen ganz anderen Eindruck auf die darin umherwandelnden Spaziergänger machte. Während der Garten an der Piccadilly absichtlich verwittert und etwas

Weitere Kostenlose Bücher