Gegen alle Zeit
auf ewig von seiner Mutter entfremdet hätte, wenn er sie nicht schon vorher abgrundtief gehasst hätte. Allein die Untaten, die Hope hier über sich hatte ergehen lassen müssen, waren mit Worten kaum zu beschreiben und trieben ihm noch heute die Zornesröte in sein dunkles Gesicht. Dennoch hatte er es stets gescheut, seine Mutter offen zur Rede zu stellen oder ausdrücklich mit ihr zu brechen. Wer wusste schon, ob sie ihm in Zukunft nicht noch einmal nützlich sein könnte. Also hatte er Hope kurzerhand und ohne ein einziges Wort der Erklärung mitgenommen und sie in dem verfallenen und leer stehenden Häuschen in der Dirty Lane untergebracht. Und seine Mutter hatte nie nach ihrem Verbleib gefragt. Gerade so, als hätte sie niemals eine schwachsinnige Tochter gehabt.
Geoff Ingram schlief jede Nacht in Mutter Blakes Keller, obwohl er nie in ihrer armseligen Bruchbude trank. Er trank überhaupt nie einen Tropfen Alkohol. Nachdem er mehr tot als lebendig aus Wilds Haus geworfen worden war, hatte Blueskin ihm aus einer plötzlichen Laune heraus das Bein mit einem Strick abgebunden, den Alten auf eine Schubkarre geladen und ihn in die Rosemary Lane geschafft. Nicht weil er irgendetwas für den Schwachkopf übrig oder Mitleid mit ihm gehabt hätte, sondern weil er hoffte, dass es Mr. Wild fuchsteufelswild machen würde. Und seine Mutter obendrein. Doch das Gegenteil war der Fall. Nur wenige Tage später erschien der Diebesfänger höchstpersönlich bei Jane Blake, drückte ihr eine Guinee in die Hand und trug ihr auf, einen Arzt zu holen und für Mr. Ingram eine anständige Unterkunft zu besorgen.
Blueskins Mutter nickte artig, behielt jedoch das Goldstück für sich, überließ die Wundheilung sich selbst und gestattete dem irren Geoff, nach überstandenem Wundfieber auf dem stinkenden Stroh im Keller zu nächtigen. Womit allen gedient sei, wie sie meinte.
So kam es, dass der irre Geoff zu einem Stammgast in Mutter Blakes Keller wurde, und als Blueskin jetzt in seiner Verkleidung vor dem Nebeneingang des Gin-Shops stand, hoffte er inständig, dass sich daran in der Zwischenzeit nichts geändert hatte. Es war weit nach Mitternacht, und weil es Neumond war, konnte man kaum die Hand vor Augen sehen. Die Verkleidung hätte Blueskin in dieser Nacht gar nicht gebraucht, und so hob er den dunklen Schleier an, ohne dass es dadurch heller wurde.
Als er die niedrige Holztür öffnete und sich zur schmalen Treppe vortastete, die in den Keller hinabführte, schlug ihm ein unerträglicher Gestank entgegen. Es roch wie in einer Sickergrube, die Galle stieg ihm hoch, und er musste einen Brechreiz überwinden. Blueskin würde nie verstehen, wie erwachsene Männer in ihrer eigenen Scheiße und Kotze schlafen konnten. Von den erwachsenen Frauen ganz zu schweigen. Und doch war der Keller in Mutters Absteige keineswegs die Ausnahme, sondern die Regel. Überall in London waren in den letzten Jahren die Kaschemmen wie Pilze aus dem Boden geschossen, in den Elendsvierteln der Stadt, vor allem außerhalb der Stadtmauern, wurde in jedem zweiten Haus gebraut, gebrannt und ausgeschenkt. Und weil das selbst gebrannte und nach Gutdünken zusammengepanschte Zeug auch die hartgesottensten Trinker umhaute, war es zur guten Sitte geworden, die Schnapsleichen einfach in den Keller zu schaffen und dort ihren Rausch ausschlafen zu lassen.
Nicht selten waren aus den Schnapsleichen am nächsten Morgen tatsächliche Leichen geworden, allein in Mutters Schänke hatte sich in den letzten beiden Jahren ein gutes Dutzend Männer und Frauen am »Wacholderfluch« zu Tode gesoffen. Was jedoch niemanden davon abhielt, sich weiterhin bei ihr zu betrinken.
Immer wieder hieß es, der König oder der Lord Bürgermeister wollten die unzähligen Gin-Shops und Privatschänken verbieten lassen, doch nie geschah etwas, und weil dem so war, nahm ihre Anzahl von Jahr zu Jahr rasant zu. Ganz London befand sich im Gin-Wahn und trank den billigen Wacholderschnaps wie Wasser oder Dünnbier. Selbst Kinder torkelten tags wie nachts betrunken über die Straßen und wurden blind von dem höllischen Gesöff.
Blueskin ekelte das alles an. Zwar trank auch er gern mal etwas Branntwein oder Bier, aber er konnte es nicht ausstehen, wenn sich die Leute besinnungslos soffen und wie Schweine benahmen, um anschließend wie das Borstenvieh im eigenen Kot einzuschlafen. Auch jetzt war der Keller leidlich mit Betrunkenen gefüllt, wie Blueskin an dem Konzert der Schnarchenden und
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