Gegen alle Zeit
Verrückten zu bestaunen. Bedlam ist ’ne echte Attraktion geworden. Fast wie die königliche Menagerie drüben im Tower.« Er zuckte mit den Schultern, tippte sich zum Gruß mit dem Finger an die Stirn und wünschte: »Na, dann viel Spaß.«
Von seinem Besuch bei Jacks Mutter wusste Blueskin, dass nur die wenigsten der sonntäglichen Besucher tatsächlich Freunde oder Verwandte der Eingesperrten waren. Bei den meisten handelte es sich um Schaulustige und Gaffer, die sich einen Spaß daraus machten, die Irren zu verhöhnen oder zu triezen, bis diese einen Anfall bekamen, was erst recht zur Belustigung beitrug. Der Vergleich mit den Löwen und Bären im Tower war gar nicht so abwegig. Hier wie da hofften die Besucher auf lautes Brüllen, wildes Gebaren und gefletschte Zähne. Denn solange die Bestien und Verrückten hinter Gittern oder angekettet waren, konnte den Maulaffen ja nichts passieren. Was Blueskin damals besonders überrascht hatte, war die Tatsache, dass es sich bei diesen Schaulustigen keineswegs allein um einfaches Volk und tumben Pöbel handelte, sondern um gut betuchte Bürger und sogar Adelige, die das Gezeter und Geschrei der Irren regelrecht zu erregen schien. Als würden sie ihnen beim Kopulieren zuschauen.
Blueskin und Geoff hatten inzwischen die Freitreppe vor dem Haupteingang erreicht. Geoff blieb plötzlich stehen, sodass Blueskin beinahe gegen ihn stieß, und er murmelte: »Hätte nicht gedacht, dass ich dieses Haus mal freiwillig betrete.«
»Wie willst du Hope rausbekommen?«, fragte Blueskin leise, als er sah, dass ein weiterer Wachmann an der Tür stand und alle Eintretenden begutachtete.
»Heute gar nicht«, meinte Geoff.
»Was?«, empörte sich Blueskin. »Aber deswegen sind wir doch hier. Nur sonntags sind Besucher in Bedlam erlaubt.«
»Heute schauen wir uns nur um«, antwortete Geoff kopfschüttelnd. »Hope weiß ja gar nicht, was sie machen und wohin sie gehen soll.«
» Wohin soll sie denn gehen?«, bohrte Blueskin. »Wo ist dein geheimer Ausgang?«
»Geheim?«, lachte Geoff und meckerte wie eine Ziege. »Kann man so nicht sagen. Hab nie behauptet, dass er geheim ist.«
Blueskin verlor allmählich die Geduld und fauchte: »Jetzt red schon!«
»Jeder Mensch hat einen Mund, und jeder Mensch hat einen Hintern.« Geoff streckte sein Hinterteil heraus, als wollte er sein Geschäft auf der Freitreppe erledigen. »Bei Häusern ist es genauso. Was vorne reingeht, wird genauestens unter die Lupe genommen. Aber fürs Arschloch interessiert sich kein Mensch. Weil’s ihnen peinlich ist. Deshalb wird’s in der Hose oder unterm Rock versteckt.« Wieder ließ er sein Ziegenmeckern erschallen, humpelte dem Eingang zu und zeigte dem Wachmann am Schalter die Billetts. Das Wappen des Königs und eine schematische Abbildung des Hospitals waren darauf zu sehen. Außerdem eine dreistellige Zahl in einer Ecke.
»Zu wem?«, fragte der Mann, notierte die Zahlen auf einem Zettel und schaute in ein Buch, das aufgeschlagen vor ihm auf der Theke lag.
»Wir wollen …« antwortete Geoff, doch Blueskin hob abwehrend die Hand und schüttelte den Kopf. »Uns nur mal umschauen«, beendete Geoff den Satz.
Der Wachmann nickte und klappte das Buch zu. »Die Männer rechts, die Frauen links«, sagte er und deutete auf die Passierscheine. »Und die müssen beim Rausgehen wieder abgegeben werden. Zur Kontrolle.«
»Habt Ihr Angst, dass die Besucher sich hier heimlich einschmuggeln, Sir?«, lachte Geoff und schüttelte den Kopf.
»Nay«, antwortete der Wachmann schmunzelnd, »aber manchmal ist es gar nicht so einfach, die Besucher und die Irren auseinanderzuhalten. Die Zettel sind der Beweis, dass Ihr nicht verrückt seid und wieder rausdürft.«
Geoff lachte wie über einen guten Witz und wedelte mit dem Billett vor Blueskins Nase herum: »Habt Ihr das gehört, Ma’am? Dieses Papier ist der Beweis, dass ich nicht verrückt bin.«
Blueskin stieß den Alten unauffällig mit der Hand in den Rücken und schob ihn sachte weiter. Als der Wachmann außer Hörweite war, fauchte Blueskin: »Lass die Mätzchen, Geoff!«
Sie hatten mittlerweile die Vorhalle erreicht, von der linker wie rechter Hand die Gebäudeflügel abgingen. In jedem der Flügel befand sich ein breiter Mittelgang mit nummerierten Zellentüren auf beiden Seiten, wie in einem Gefängnis. In die Türen waren vergitterte Fenster eingelassen, durch die man einen Blick ins Zelleninnere werfen konnte. Eine Eisentreppe am Ende des Mittelgangs
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