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Gegen alle Zeit

Gegen alle Zeit

Titel: Gegen alle Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
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führte ins obere Stockwerk, wo eine zur Mitte hin offene Galerie ringsum an den Zellen entlangführte.
    Von der Vorhalle aus gelangte man durch eine Gittertrennwand, in die eine ebenfalls vergitterte Tür eingelassen war, in den zur Linken gelegenen Frauenflügel. Blueskin und Geoff zeigten dem Schließer an der Tür ihre Billets, traten ein und schauten sich um. Vom Gitter aus konnte man beinahe den gesamten Flügel und beide Stockwerke überblicken, allerdings war es stockfinster darin, weil es an der Stirnseite, direkt über zwei verschlossenen Eisentüren, nur zwei kümmerliche Fensterchen gab, durch die jeweils ein dünner Sonnenstrahl auf den Boden fiel. Wie bei seinem letzten Besuch entsetzten Blueskin neben der Dunkelheit vor allem der stechende Gestank und der ohrenbetäubende Lärm.
    »Wohin führen die beiden Türen?«, fragte Blueskin.
    »Zum Hof und in den Keller«, antwortete Geoff grinsend und deutete dann zur Galerie. »Da oben sind die Gefährlichen und Tobsüchtigen.«
    Vor den geschlossenen Zellentüren scharten sich die Besucher und machten allerlei Faxen. Sie warfen Gegenstände durch das Gitterfenster und krakeelten herum, um die Verrückten zu reizen. Mit Erfolg, wie an dem dumpfen Schreien, Hämmern und Lärmen aus den Zellen zu erkennen war. Auf jeden Schrei aus der Zelle folgte eine Lachsalve vor der Tür. Blueskin musste an die Bemerkung des Wachmannes denken, dass die Besucher und die Irren nicht so leicht auseinanderzuhalten seien.
    Im unteren Stockwerk waren die Harmlosen und Trübsinnigen untergebracht. Zu den sonntäglichen Besuchszeiten wurden die meisten Zellen im Erdgeschoss geöffnet, um den Besuchern einen hautnahen Kontakt zu den Irren zu ermöglichen und ihnen etwas für ihr Geld zu bieten. Einige der Verrückten wurden mit Fußfesseln daran gehindert, ihre geöffneten Zellen zu verlassen. Andere wiederum konnten sich völlig frei bewegen, auch wenn die wenigsten diese »Freiheit« nutzten. Die Irren, die allesamt mit einer dunkelbraunen Kutte aus einfachem Kattun bekleidet waren, hockten auf dem Boden, wiegten teilnahmslos ihren Oberkörper hin und her und ließen sich ohne Widerspruch oder sichtbare Reaktion befingern. Andere flüchteten in die dunklen Ecken und hielten ihre Köpfe zwischen den Knien versteckt, während die Besucher sie umringten, oder sie unterhielten sich gestenreich mit irgendwelchen Gestalten, die nur sie sehen konnten. Einige wenige Insassen schienen völlig normal und bei wachem Verstand zu sein, sie unterhielten sich untereinander oder mit den Besuchern und lachten sogar – was in diesem schrecklichen Gebäude beinahe noch beängstigender klang als das gequälte Schreien von der Galerie.
    »Wenn Hope oben in den Zellen ist, können wir gleich wieder gehen«, sagte Geoff und fuhr sich über das stoppelige Kinn. »Dann ist nichts zu machen.«
    Doch Blueskin hatte seine Schwester bereits entdeckt. Das spärliche Licht hatte ihm den Weg gezeigt. Er deutete auf die Stelle, an der die beiden Lichtbündel von den Fenstern auf den Boden fielen. Zwei helle Quadrate mit Gittermustern auf dem dunklen Fußboden. Hope saß in einem dieser Vierecke und unterhielt sich mit einem Mädchen, das neben ihr hockte und genauso wie Hope aussah. Es hatte das gleiche Mondgesicht, die gleichen Schlitzaugen, die gleiche plattgedrückte Nase und die seltsam verwachsenen Ohren. Da man ihnen, wie allen Bewohnern von Bedlam, die Haare bis auf die Haut geschoren hatte, sahen sie sich tatsächlich zum Verwechseln ähnlich.
    Blueskin näherte sich seiner Schwester, ging neben ihr in die Knie, legte seine behandschuhte Hand auf ihre Schulter und sagte: »Hallo, Hope!« Als sie überrascht aufschaute, hob er für einen kurzen Augenblick den dunklen Schleier an und flüsterte: »Ich bin’s.«
    »Joseph!« Hope strahlte und brummte: »Wo warst du?« Eigentlich sagte sie etwas wie: »Jose! Wo wa u?«, doch Blueskin verstand jedes noch so undeutlich genuschelte Wort, das seine Schwester von sich gab, als wäre sie eine überdeutlich sprechende Schauspielerin auf der Theaterbühne.
    Blueskin wollte sie in die Arme nehmen, doch sie schüttelte den Kopf und deutete mit dem Finger auf das andere Mädchen. »Das ist Mary.«
    »Hallo, Mary«, sagte Blueskin, ohne sie anzuschauen, und streichelte Hope über den geschorenen Schädel. »Ich hol dich hier raus, Schwesterherz.«
    »Mary, meine Freundin«, sagte Hope mit breitem Grinsen. »Freundin, ja.«
    »Das ist schön«, sagte Blueskin. »Hast

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