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Gegen alle Zeit

Gegen alle Zeit

Titel: Gegen alle Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
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Gitterzaun und das Portal erreicht, und Geoff reichte dem Wachmann die Passierscheine.
    »Bis bald, Geoff!«, rief der Torsteher ihm nach und lachte.
    Als sie die gegenüberliegenden Gärten von Moorfields erreicht hatten, wandte Blueskin sich um und schaute zurück zum königlichen Hospital von Bethlem. Wie ein Palast, dachte er noch einmal, wenn man nicht wüsste, was sich darin befindet.
    »Heute Nacht zeigst du mir den Hintern!«, sagte Blueskin.
    Geoff lachte schallend und meinte: »Du bist also doch ein Molly!«
    »Den Hintern von Bedlam, du Blödmann!«, fauchte Blueskin, obwohl er inzwischen wusste, dass Geoff so blöde nicht war und den Dummkopf nur mimte, um die anderen zum Narren zu halten.
    »Aber nicht in den Kleidern«, antwortete Geoff, zupfte an Blueskins Rüschenärmeln und kicherte. »Die kannst du nämlich anschließend wegschmeißen.«

7

    Blueskin hatte sich schon oft gewundert, warum die Drapers’ Gardens nicht bebaut waren. Die großzügig bemessenen Gärten der ehrenwerten Textilkaufleute, deren Zunfthaus in unmittelbarer Nähe lag, befanden sich mitten in der überfüllten und dicht besiedelten Londoner City. Wenn das Rathaus im Westen, die königliche Börse im Süden und das Bethlem Hospital im Norden ein Dreieck bildeten und man die Spitzen des Dreiecks miteinander verband, stieß man direkt auf die Drapers’ Gardens, die wie eine kleine und verträumte Oase im Gewimmel der Hauptstadt wirkten und weder durch einen Zaun noch durch eine Mauer befriedet waren.
    Ausgerechnet hierher hatte Geoff ihn beordert. Um Punkt Mitternacht, wie er wichtigtuerisch nachgeschoben hatte. Zwar war das Irrenhaus von Bedlam nicht weit entfernt, doch es lag auch nicht gerade in unmittelbarer Nähe. Ein ganzer Block von Wohnhäusern, Tavernen und Stallungen befand sich zwischen den Gärten und der Stadtmauer, und Blueskin verstand nicht, wie man von hier aus unbemerkt zum oder gar ins Irrenhaus gelangen sollte.
    Es war noch immer Neumond, eine pechschwarze Nacht, vor allem in den unbeleuchteten Gärten, die aus einer kleinen zentralen Rasenfläche und allerlei umstehendem Gebüsch bestanden. Verglich man die Drapers’ Gardens mit den neu angelegten Parks und Gärten außerhalb der Stadtmauern, so musste man sie als verlottert und vernachlässigt bezeichnen. Niemand schien sich um den Wuchs der Büsche und Sträucher zu kümmern, Blumen und Zierpflanzen suchte man hier vergebens, und der Boden zu Blueskins Füßen war so nass, dass außer Binsen und Moos nichts Anständiges darauf zu wachsen schien. Beinahe wie die Sumpfwiesen in Lambeth, auf der Südseite der Themse.
    Wegen der Dunkelheit hatte Blueskin keine Verkleidung anlegen müssen. Er hatte lediglich sein Barett, das ohnehin im Feuer verbrannt war, gegen einen ledernen Schlapphut getauscht und aus seiner nicht gerade umfangreichen Garderobe ein dunkles Hemd mit überlangen Ärmeln ausgesucht. Den Rest besorgte die Neumondnacht.
    Pünktlich um Mitternacht, die Turmuhren von Bedlam und St. Paul’s waren gerade verklungen, trat ein Schatten aus dem Gebüsch und an Blueskin heran, der trotz mehrmaligen Hinschauens den irren Geoff kaum erkannte. Das lag nicht allein an der Dunkelheit, sondern auch an der Tatsache, dass der Alte beinahe nackt war und lediglich eine Art Unterhose trug, die ihm bis zu den Knien ging. Vor allem aber hatte er sein Holzbein abgelegt und hüpfte auf einem Bein, als wollte er Hopscotch spielen.
    »Was soll der Unfug?«, begrüßte ihn Blueskin unwirsch.
    »Komm!«, antwortete Geoff und hüpfte wieder ins Gebüsch.
    »Was ist mit deinem Bein?«
    »Mach schon!«, befahl Geoff statt einer Antwort und war im nächsten Augenblick im Dickicht verschwunden.
    Blueskin folgte ihm durch den knöcheltiefen Schlamm, ohne auch nur das Geringste erkennen zu können, und hatte sich binnen Kurzem in den Dornen- und Weidensträuchern verheddert. Beim Versuch, sich zu befreien, schlug ihm eine Weidenrute auf die verbrannte und von eitrigen Brandblasen übersäte Schulter und ließ ihn aufschreien.
    »Hierher!«, rief Geoff aus dem Dunkel.
    Schließlich hatte Blueskin die Stelle erreicht, von der die Stimme gekommen war, doch Geoff war nirgends zu sehen oder zu ertasten. Auf einem großen Stein lagen seine Kleider, und sein Holzbein hing an den Lederriemen in einem Baum, doch er selbst war wie vom Erdboden verschwunden.
    »Zieh dich aus!«, erschallte Geoffs dumpfe Stimme, der ein seltsamer Hall nachklang, wie bei einem Echo.
    »Wo steckst du?«,

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