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Gegen alle Zeit

Gegen alle Zeit

Titel: Gegen alle Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
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fragte Blueskin, bekam aber keine Antwort. Also zog er sich widerwillig aus, legte Hut und Kleider zu Geoffs Sachen und rief: »Oi, Geoff?«
    »Kuckuck!«, machte Geoff, und sein Kopf schaute aus einer schlammigen Öffnung im Boden, die nicht von Menschenhand gemacht schien, sondern wie das Ergebnis eines Erdrutsches oder einer Unterspülung wirkte.
    »Was ist das?«, fragte Blueskin und erkannte erst jetzt, dass Geoffs Kopf vom bloßgelegten Wurzelwerk eines Baums umrahmt war.
    »Hast du dich nie gefragt, warum die Drapers’ Gardens nicht bebaut sind?«, fragte Geoff, kicherte leise und gab selbst die Antwort auf seine Frage. »Weil der Boden mistnass ist. Und warum ist er so nass? Weil er von unterirdischen Flussläufen durchzogen ist. Und wohin führen die Flüsschen? Hä?«
    »Keine Ahnung«, knurrte Blueskin.
    »Zum Walbrook.«
    »Zur Straße oder zum Stadtteil?«
    »Zum Fluss.«
    »Es gibt keinen Fluss mit dem Namen«, sagte Blueskin.
    »Wie du meinst«, antwortete Geoff und verschwand unter der Erde.
    »Warte!«, rief Blueskin und beeilte sich, ihm zu folgen. Er legte sich auf den Bauch und ließ sich langsam in die Öffnung hinab, wobei er sich an den oberirdischen Wurzeln festhielt und mehrmals mit den Füßen im unterirdischen Wurzelwerk hängen blieb. Zumindest verstand er jetzt, warum Geoff sein Holzbein abgelegt hatte. Nach einer Weile fühlte er eiskaltes Wasser an seinen Zehen und hörte Geoff sagen: »Trau dich!«
    Blueskin ließ los und landete im Wasser, das ihm etwa bis zum Bauchnabel reichte. Doch weil es unter der Erde stockfinster war und außer dem Plätschern und Gurgeln des Bachs nichts zu hören war, hatte Blueskin augenblicklich jede Orientierung verloren. Er streckte seine Hände aus und drehte sich im Kreis, bekam aber nichts zu fassen. Mit nur leidlich unterdrückter Angst in der Stimme fragte er: »Wo bist du?«
    »Hier«, antwortete Geoff. »Direkt neben dir.«
    »Was ist das hier?«
    »Der Fluss, den es angeblich nicht gibt.«
    Blueskin staunte und fragte: »Und wohin jetzt?«
    »Immer gegen den Strom. Der Walbrook fließt von Moorfields unter der Stadtmauer hindurch bis nach Dowgate. Wir hätten auch unten an der Themse einsteigen können, aber das hier ist ’ne Abkürzung. Wenn wir flussaufwärts schwimmen, gelangen wir unweigerlich nach Norden. Aber pass auf deinen Kopf auf, an einigen Stellen musst du untertauchen, um voranzukommen. Wichtig ist, dass du die Ruhe behältst und nicht in Panik gerätst. Traust du dir das zu?« Und mit spöttischem Tonfall fragte er: »Kannst du überhaupt schwimmen?«
    Statt einer Antwort schnaufte Blueskin verächtlich und fragte: »Wieso ist der Fluss unterirdisch?«
    »Weil er überbaut wurde, schon vor langer Zeit. Platz war halt immer schon knapp in der Stadt. Und irgendwann haben die Leute vergessen, dass es ihn jemals gab.«
    »Nur du nicht«, sagte Blueskin.
    »Bin zufällig auf ihn gestoßen«, antwortete Geoff lachend und schwamm voran. »Manchmal wühlt man eben in der Scheiße und findet einen Schatz.«
    Schweigend schwammen oder wateten sie durch das Wasser. Die einzigen Lebewesen, die ihnen begegneten, waren die Ratten, die hier unten, dem Fiepen nach zu urteilen, in Scharen zu leben schienen. Zum Glück konnte Blueskin sie nicht sehen und bekam nicht zufällig eine zu fassen. An einigen Stellen war der Bach nur ein knietiefes Rinnsal, dann wieder weitete er sich zu einem kleinen See. Mehrmals mussten sie untertauchen, aber ebenso oft war über dem Wasser so viel Platz, dass Blueskin nicht mit den Händen an die oft gemauerte oder aus Bohlen bestehende Decke dieses seltsamen Tunnels reichen konnte.
    Nach einer Weile begriff Blueskin auch, was Geoff mit seinem »In-der-Scheiße-Wühlen« gemeint hatte. Es stank erbärmlich nach Exkrementen, und als ihm versehentlich etwas Wasser in den Mund drang, hätte er sich beinahe vor Ekel erbrochen. Zunächst redete sich Blueskin ein, der Gestank und der Geschmack kämen von der fauligen Erde oder den stinkenden Ratten, doch Geoff nahm ihm diese Illusion, indem er sagte: »In Moorfields fließt frisches Wasser rein, in Dowgate kommt bloß noch Kacke raus. Von überall wird Unrat in den Fluss geleitet. Ein Paradies für Ratten.«
    »Ein natürlicher Abwasserkanal?«, meinte Blueskin.
    »Wie der Fleet«, sagte Geoff. »Nur dass die Leute gar nichts von ihm wissen und den Walbrook für ’ne verdammte Straße halten.«
    »Wie weit ist es noch?«
    »Sind schon da«, antwortete Geoff und nahm

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