Gegen alle Zeit
für opportun hielt, alles unter den Teppich zu kehren und die Sache zu vergessen. Niemandem aus dem ungeliebten Königshaus war ein Haar gekrümmt worden, kein Mensch wollte anschließend etwas gewusst haben, und viel zu viele hatten mitgemacht. Also löste sich alles in Luft und Wohlgefallen auf. Wie ein nichtiges Spukgebilde.
Doch genau das war es, was Henry nicht einleuchtete. Sein erster und naheliegender Verdacht war es gewesen, dass auch Mr. Wild zu den Atterbury-Verschwörern gezählt hatte und nun alles unternahm, um diese Beteiligung zu verschleiern. Womöglich hatte der Musiker Albrecht Niemeyer, der selbst einer der Jakobiten gewesen war und an dem konspirativen Treffen im Little Stanmore Inn teilgenommen hatte, den Diebesfänger mit seinem Wissen erpresst. Hatte Bess nicht gesagt, Albrecht sei erst vor Kurzem aus Frankreich nach London zurückgekehrt? War es nicht denkbar, dass er dort mit Bischof Atterbury verkehrt hatte? Es passte scheinbar alles zusammen.
Und dennoch war Henry irritiert und wollte das nicht glauben. Was hatte Mr. Wild schon zu befürchten? Niemand interessierte sich ernsthaft für die Verschwörer von einst. Wäre es wirklich so schlimm gewesen, wenn Jonathan Wild als Atterbury-Gefolgsmann entlarvt worden wäre? Dann befände er sich in guter und wohlangesehener Gesellschaft, die ebenfalls unbehelligt geblieben war – dem Herzog von Chandos beispielsweise oder dem Grafen von Burlington. Und warum hatte Mr. Wild es nun auf Bess abgesehen? Albrecht Niemeyer war tot, der Mitwisser von einst konnte Mr. Wild nicht mehr gefährlich werden. Nein, das ergab keinen Sinn. Henry ahnte, dass noch einige wesentliche Teile des Puzzles fehlten. Und er sehnte sich regelrecht danach, Mr. Wild unter die Augen zu treten, um ihn danach zu fragen.
Henry musste nicht lange warten. Bereits früh am folgenden Samstagmorgen wurden Bess und er mit Fußtritten aus dem Schlaf geweckt, und kommentarlos wurden ihnen eiserne Handschellen angelegt. Diesmal jedoch nicht auf dem Rücken; stattdessen wurden sie mittels einer Kette an den Fußschellen befestigt, was die Bewegungsfreiheit erheblich einschränkte.
»Was soll das?«, fragte Bess schlaftrunken und zerrte an den Ketten.
»Hoher Besuch«, antwortete der Wärter Bernie, der übernächtigt und übellaunig wirkte. Vermutlich hatte ihn sein Kollege Seamus beim Kartenspiel über den Tisch gezogen. Grimmig sagte er: »Damit ihr manierlich bleibt.«
»Hat Mr. Wild solche Angst vor uns?«, fragte Henry höhnisch.
»Angst?«, kam eine piepsige Stimme von der Gittertür. »Nein, nur einen gesunden Menschenverstand. Ihr habt guten Grund, mir ans Leder zu wollen, und ich habe allen Grund, das tunlichst zu verhindern.« Mr. Wild betrat mit einem selbstgefälligen Grinsen im Gesicht die Zelle und scheuchte den Wärter mit einer Handbewegung fort.
»Ay, Sir!«, machte Bernie, stellte das Windlicht auf dem Boden ab und verließ buckelnd die Zelle.
Der unvermeidliche Quilt Arnold baute sich hinter seinem Herrn und Meister auf und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Du auch!«, fuhr ihn Mr. Wild an. »Raus mit dir!«
»Sir?«, wunderte sich Quilt Arnold, verließ dann aber zögerlich den Raum. Sein Gesicht erinnerte Henry an das eines eingeschnappten kleinen Jungen.
»Weshalb haltet Ihr uns hier gefangen?«, fragte Bess und baute sich vor dem Diebesfänger auf. Sie überragte ihn um einen Kopf und starrte ihn an, als wollte sie ihm im nächsten Augenblick in die Nase beißen.
»Unser letztes Gespräch wurde etwas abrupt unterbrochen«, meinte Mr. Wild, lächelte geringschätzig, machte aber dennoch einen Schritt zurück. »Und als ich das nächste Mal nach dir geschaut habe, warst du verschwunden. Mit Blueskin, Friede seiner schwarzen Seele, und dem da!« Er wies mit dem Daumen auf Henry, der sich nicht von der Stelle gerührt hatte und immer noch neben dem Strohsack auf dem Boden saß.
»Es hängt alles zusammen, nicht wahr?«, fragte Bess, und es klang beinahe flehentlich. Als ginge es ihr nur darum, endlich Gewissheit zu haben. »Matthew und Albrecht und der Herzog und Ihr, Sir! So ist es doch, oder?«
»Mit deinem seligen Mann habe ich nichts zu schaffen«, knurrte Mr. Wild, und wieder fiel Henry auf, wie unangenehm und durchdringend seine fiepende Stimme klang. »Ich bin Mr. Lyon nie begegnet.«
»Warum musste Matthew sterben?«, fragte Bess. »Er konnte keiner Fliege was zuleide tun. Er wollte doch nur mit Albrecht sprechen. Wegen
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