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Gegen alle Zeit

Gegen alle Zeit

Titel: Gegen alle Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
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mir!«
    »Davon weiß ich nichts«, antwortete Mr. Wild ungeduldig, griff nach seinem Dreispitz, zupfte an den Federn und setzte den Hut wieder auf die Perücke. »Mit dem Little Stanmore Inn habe ich nichts zu tun, ich bin nie dort gewesen, und es kümmert mich auch nicht. Du hättest den Herzog von Chandos danach fragen sollen, als du Gelegenheit dazu hattest.«
    »Oder Bischof Atterbury?«, meldete sich Henry zu Wort.
    »Du bist ein kluges Bürschchen, Macheath!« Mr. Wild nickte und bedachte Henry mit einem abschätzigen Seitenblick. »Aber den Bischof werdet ihr nicht um Antwort bitten können, denn er …«
    »… ist in Frankreich«, setzte Henry den Satz fort. »Das wissen wir. Es ist auch gar nicht nötig, ihn zu fragen. Warum er Matthew Lyon umbringen ließ, liegt ohnehin auf der Hand. Atterbury musste auf Nummer sicher gehen und konnte nicht riskieren, dass seine Verschwörung verraten wurde. Von einem Küster, der ihn ganz zufällig im Kreis jakobitischer Verschwörer gesehen hatte. Zu dem vermutlich auch der Herzog von Chandos zählte. Darum wurde der Fall auch so schnell zu den Akten gelegt und die Selbsttötung nicht infrage gestellt. Ein kurzer Prozess.«
    Mr. Wilds abschätziger Blick wandelte sich zu einem verwunderten. »Warum stellt ihr Fragen, wenn ihr die Antworten längst wisst?«, fragte er und wandte sich dann an Bess: »Aber wie ich schon bemerkt habe: Ich kann dazu nichts sagen, da ich bei dem bedauerlichen Vorfall nicht zugegen war.«
    »Und warum Albrecht?«, wollte Bess wissen. »Oder wollt Ihr etwa behaupten, dass Ihr bei diesem bedauerlichen Vorfall auch nicht zugegen wart?«
    »Mr. Niemeyer war ein habgieriger Erpresser und liederlicher Lump«, entfuhr es dem Diebesfänger, bevor er sich die Worte überlegen konnte. »Keinen Schuss Pulver wert. Wie alle Deutschen! Ein niederträchtiges Pack!«
    »Das sagt ja der Richtige«, lachte Henry und bereute umgehend seine Worte, als Mr. Wilds Fuß mit voller Wucht an seinem Kinn landete und sein Kiefer sich anfühlte, als hätte man ihn gespalten. Ein abgebrochener Schneidezahn landete auf dem Boden, und Blut rann ihm über die Unterlippe.
    »Und jetzt müssen wir sterben?«, fragte Bess, aber es klang eher wie eine Feststellung. »Weil ich Matthews Frau und Albrechts Geliebte war?«
    »Nein«, antwortete Mr. Wild und lachte plötzlich, als hätte ihm jemand einen guten Witz erzählt. »Deshalb nicht. Mit wem du dich in den Betten rumtreibst, ist mir einerlei.« Dabei schaute er Henry an und grinste. »Und dass ihr sterben müsst, ist gar nicht ausgemacht. Das hängt ganz davon ab, wie mitteilsam ihr euch zeigt.«
    »Was, zum Teufel, wollt Ihr von uns?«, rief Henry, zerrte an den Ketten und wischte sich das Blut vom Kinn. Wegen der Zahnlücke zischelte er bei jedem Wort, und die Luft fuhr ihm beim Sprechen wie Feuer über den abgebrochenen Zahnstumpf.
    »Den Brief!«
    »Was für einen Brief?«, wollte Bess wissen.
    » Den Brief!«, wiederholte Mr. Wild. »Du weißt genau, was ich meine.«
    »Wie kommt Ihr darauf?«
    »Du warst in seiner Wohnung«, sagte Mr. Wild. »In Covent Garden.«
    »Ich wollte Albrecht umbringen«, erwiderte Bess. »Das habe ich Euch bereits gesagt. Aber Ihr seid mir zuvorgekommen.«
    Mr. Wild lachte ungläubig und rief: »Ich weiß, dass du mit ihm unter einer Decke steckst! Hör auf mit dem dummen Theater!«
    »Es geht also um Albrecht Niemeyers Brief«, sagte Henry, der nun endlich zu verstehen glaubte. »Der Brief, mit dem er Euch erpresst hat.« Und nach kurzem Nachdenken fügte er nickend hinzu: »Bischof Atterburys Brief. Aus Frankreich.«
    »Es freut mich, dass ihr nicht länger die Unwissenden spielt«, sagte Mr. Wild zufrieden und lächelte. »Das erspart uns viel Zeit und peinliche Unannehmlichkeiten. Es war übrigens nicht Atterburys Brief, sondern meiner. Und Niemeyer hat ihn entwendet. Was ihm nicht gut bekommen ist.«
    »Was denn für ein Brief?«, wiederholte Bess und schaute verwirrt von einem zum anderen. »Ich verstehe überhaupt nicht, wovon ihr sprecht.«
    »Das wäre allerdings schade«, antwortete Mr. Wild. »Denn dann hätte ich keinen Grund, dich weiter am Leben zu lassen, mein Kind!«
    » Euer Brief?«, murmelte Henry und stutzte plötzlich. Ihm kam mit einem Mal ein ganz neuer Gedanke. Ein Gedanke, der die scheinbaren Widersprüche, die ihn in der vergangenen Nacht so verstört hatten, in Luft auflöste. Das letzte Stückchen, das das Puzzle vervollständigte. Er schaute Mr. Wild

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