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Gegen alle Zeit

Gegen alle Zeit

Titel: Gegen alle Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
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Kneipe auf der anderen Seite des Hauses.
    Henry fragte: »Stehst du Wache?«
    Da George es nicht für nötig befand, auf diese blöde Frage zu antworten, beließ er es bei einem Achselzucken, paffte an der Pfeife, deutete auf den Giebel des Hauses und meinte: »Die anderen sind unterm Dach.«
    »Ist Bess schon da?«, fragte Henry über die Schulter, während er die Stufen zum Eingang hinunterstieg. George fiel beinahe die Pfeife aus dem Mund, und er starrte Henry überrascht an. Dies war Henry Antwort genug, er winkte ab und betrat das Black Lion Inn.
    Die Kellertür führte zu einem großen und unmöblierten Raum, dessen Boden mit Stroh bedeckt war und in dem es nach Alkohol und Erbrochenem roch. Henry fühlte sich augenblicklich an den stinkenden Keller erinnert, in dem er heute Morgen aufgewacht war, und er begriff, dass wahrscheinlich jedes Schankhaus in London einen solchen Raum besaß, in dem die Säufer ihren Rausch ausschlafen konnten. Das Stroh diente dabei nicht in erster Linie der Bequemlichkeit, sondern vermutlich dem leichteren Entfernen der Exkremente. Wie in einem Kuhstall.
    Eine schmale Holztreppe führte hinauf ins Erdgeschoss, in dem sich nur wenige Gäste aufhielten. Am hinteren Ende des Schankraums befand sich, wie Henry vermutet hatte, der eigentliche Eingang zur Schänke, und durch ein Fenster neben der Tür sah er Poll Maggott, die betont gelangweilt auf der Straße herumlungerte. Wie eine Hure auf Kundenfang.
    »Na, wo soll’s denn hingehen?«, rief der Wirt hinter dem Schanktisch, als Henry sich anschickte, eine weitere Stiege hinaufzusteigen, die zu den oberen Etagen führte. Der Mann war feist und fett und hatte ein durch Pockennarben verunstaltetes Gesicht, das einem auch aus der Entfernung einen Schauer über den Rücken jagte. »Da oben ist niemand!«, brüllte der Mann, als müsste er sich in einer überfüllten Markthalle Gehör verschaffen. »Nur private Räume.«
    »Schon gut«, sagte Henry und hob die Hand zum Gruß. Obwohl ihm das Herz vor Aufregung bis zum Hals schlug, versuchte er, möglichst ungezwungen zu wirken. »Jack und Blueskin und die anderen warten oben auf mich.«
    »Kenn keinen Jack Blueskin«, knurrte der Wirt. »Und keine anderen.«
    »Besser für dich«, meinte Henry und ging weiter, ohne sich noch einmal umzudrehen. Tatsächlich machte der Wirt keinerlei Anzeichen, hinter seinem Tisch hervorzutreten, sondern hob lediglich missbilligend die Augenbrauen. Und so ging Henry auf der immer schmaler und steiler werdenden Stiege bis zum Dachstuhl. Dort endete die Treppe vor einer nach oben hin spitz zulaufenden Tür, hinter der lärmende und aufgebrachte Stimmen zu hören waren.
    »Was hätten wir denn deiner Meinung nach tun sollen?«, rief jemand. Der knarzigen Stimme nach hätte es Godfrey sein können. »Wir können froh sein, dass wir nicht allesamt eingebuchtet wurden.«
    »Um Bess ist es ohnehin nicht schade!« Das war Blueskins Stimme. »Ich werd sie nicht vermissen. Ein Grund mehr zu feiern! Auf Jack! Wohlsein!«
    »Du bist so ein Mistkerl«, antwortete ihm eine Frauenstimme. »Und ein verdammter Feigling obendrein.« Henry erkannte den irischen Akzent von Jenny Diver.
    »Ist doch wahr!«, entgegnete Blueskin. »Wer hat uns denn das alles eingebrockt? Von mir aus kann sie im Newgate verrotten. Lasst uns lieber auf Jacks Freiheit anstoßen!«
    »Sch-Schnauze! Alle miteinander!«, wurde das Lärmen zu einem abrupten Ende gebracht. »D-das bringt doch nichts. Verdammt noch mal, jetzt dreht nicht durch! Immer mit der R-Ruhe! Wir werden uns um B-Bess kümmern, wenn’s so weit ist.« Die Stimme des Stotterers war trotz der Lautstärke sanft und beinahe feminin, gehörte aber dennoch einem erwachsenen Mann, wie Henry glaubte. Und die absolute Stille, die seinen Worten folgte, bewies, dass dieser Mann in der Runde große Autorität besaß. Jack Sheppard!
    Entgegen seinem ersten Impuls, einfach wieder umzukehren und die Flucht zu ergreifen, fasste Henry sich ein Herz, öffnete mitten in der Stille die Tür und betrat die Dachkammer. Vielleicht war es der Schauspieler in ihm, der schlichtweg der Versuchung eines großen Auftritts nicht widerstehen konnte. Wie in einer Boulevardkomödie, wo immer zur rechten Zeit irgendjemand durch eine Tür die Bühne betrat und für eine überraschende Wendung sorgte.
    Auf einen Schlag wandten sich ihm alle Gesichter zu. Blueskin sprang in die Höhe und zog ein Messer aus einer unsichtbaren Scheide am Hosenbund. Und Jenny stieß einen

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