Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gegen alle Zeit

Gegen alle Zeit

Titel: Gegen alle Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
Vom Netzwerk:
den Hals. Und Quilt wird auch nicht ewig ohnmächtig sein. Lass uns abhauen!«
    »Aber Henry«, wandte Bess ein.
    »Der wird schon wieder auftauchen«, meinte Blueskin achselzuckend.
    »Und wenn nicht?«, fragte Bess und starrte auf den Ring in ihrer Hand. Sie steckte den Ring ein und folgte Blueskin zum Ausgang. »Wenn nicht«, sagte sie noch einmal leise.

2. Captain Macheath

    Es war noch etwa eine Stunde bis Mitternacht. Henry lag neben Blueskin auf der alten Stadtmauer und schaute hinunter auf den Friedhof von St. Botolph.
    »Warum ausgerechnet hier?«, fragte Blueskin.
    »Hier hat alles angefangen«, antwortete Henry und kauerte sich hinter eine der Zinnen.
    »Was hat hier angefangen?«, wollte Blueskin wissen.
    »Wenn ich das bloß wüsste«, murmelte Henry. Den verwunderten Seitenblick Blueskins bemerkte er gar nicht.
    Von ihrem Standpunkt aus konnten sie sowohl den Friedhof als auch die Kirche sowie einen Teil des Platzes vor dem Stadttor von Aldersgate überblicken. Auch wenn das in der Dunkelheit nicht einfach war.
    Dass Blueskin hier neben ihm auf der Lauer lag, erschien Henry immer noch wie ein Wunder. Oder wenigstens wie eine glückliche Fügung. Seitdem er ihn am gestrigen Montag in der Drury Lane gesehen hatte, hatte Henry oft an den Gauner gedacht, der ihm immer noch so widersprüchlich und unfassbar erschien, und als er am Morgen von dem Stallknecht Samuel erfahren hatte, dass der arme Jack Sheppard auf einer Schubkarre vor dem Newgate-Gefängnis abgestellt worden war, hatte Henry sofort gewusst, wer hinter diesem seltsamen Einfall steckte. Das war ein Witz ganz nach Blueskins Art.
    Am späten Nachmittag, nachdem er den Friedhof von St. Botolph ein erstes Mal in Augenschein genommen und zwei Totengräber beim Ausheben eines Grabes beobachtet hatte, war Henry erneut in die Drury Lane gegangen und hatte sich in der Ruine im Coal Yard auf die Lauer gelegt. Er hatte nicht ernsthaft damit gerechnet, Blueskin abermals zu begegnen, aber wenn er schon die Zeit bis zur Nacht totschlagen musste, so konnte er es ebenso gut an einem gottverlassenen Ort machen, wo ihm außer ein paar Ratten und streunenden Hunden niemand begegnete. Vor der Ruine spielten zwar einige Kinder im Schutt, und im hinteren Teil des Yards hatte ein Schmied seine Werkstatt, doch das zusammengefallene Haus selbst war wüst und leer.
    Henry hatte sich seit dem Vortag merklich erholt, der Schlaf hatte ihm gutgetan, seine Wunden und Blessuren schmerzten nicht mehr ganz so heftig, und auch das gräfliche Essen, das Mr. Gay und Mr. Pepusch für ihn aus dem Herrenhaus geschmuggelt hatten, hatte seine Kräfte und Sinne wiederbelebt. Er war hellwach und ausgeruht. Und dennoch wurde er von Blueskin überrascht.
    Plötzlich spürte er ein Messer an seiner Kehle und hörte hinter sich die Worte: »Keinen Mucks, sonst stech ich dich ab!«
    Henry hatte Blueskin nicht kommen hören, seine Stimme aber sofort erkannt. Also hob er die Hände und sagte: »Ich bin’s. Henry.«
    »Na, schlag mich tot!«, antwortete Blueskin und steckte das Messer ein. »Bist also tatsächlich aus Bedlam rausgekommen? Verdammter Teufel!«
    »Und du bist von den Toten auferstanden. Auch nicht schlecht!«
    »Wie hast du mich gefunden?«, fragte Blueskin mit finsterer Miene.
    Henry schnupperte an Blueskin, der wie ein nasser Straßenköter roch, und sagte: »Immer der Nase nach.«
    Sie lachten und umarmten sich. Die erste freundschaftliche Geste zwischen ihnen, soweit Henry sich erinnern konnte. Dann berichtete Blueskin in aller Kürze, was ihm seit dem Brand in der Dirty Lane widerfahren war. Henry hörte aufmerksam und staunend zu, doch als er sich am Ende nach Jack und der Geschichte mit der Schubkarre erkundigte, brach Blueskin abrupt seine Ausführungen ab und knurrte: »Ich will nicht darüber sprechen.« Dann wechselte er das Thema und fragte: »Wie sieht’s bei dir aus? Was hast du vor?«
    »Bess befreien.«
    »Nicht schon wieder«, lachte Blueskin, wurde aber sofort ernst. »Hab’s schon versucht, Kumpel. Kannst du vergessen.«
    Henry schüttelte den Kopf, zog den Brief aus seiner Joppe und erzählte, was es mit dem Schreiben des Diebesfängers auf sich hatte. Seltsamerweise schien Blueskin gar nicht so überrascht, wie er es hätte sein müssen. Er nickte lediglich und fragte: »Und jetzt?«
    »Tauschen wir Bess gegen den Brief.«
    »Wir?«, schnaufte Blueskin verächtlich. »Was hab ich damit zu schaffen?«
    »Mach es Bess zuliebe«, meinte Henry.
    »Bess?«

Weitere Kostenlose Bücher