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Gegen alle Zeit

Gegen alle Zeit

Titel: Gegen alle Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
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war bereits weit nach Sonnenuntergang, als Quilt Arnold schließlich den Anbau betrat, sich die Zelle aufschließen ließ und Bess kommentarlos die Hände auf dem Rücken fesselte. Er führte sie aus dem Trakt und die Treppe hinunter, dann durch die große Halle, wo sie von den Wärtern wie eine Erscheinung beäugt wurde, und schließlich durch den Haupteingang ins Freie. Dort wurde sie in einen bereitstehenden Einspänner geschoben.
    »Setz dich!«, fiepte Mr. Wild, der bereits in der Kutsche saß, zog sie unsanft auf den Sitz neben sich und wippte aufgeregt mit den Knien. In der Hand hielt er einen schmalen Ring, den er zwischen den Fingern hin und her schob.
    Quilt Arnold schwang sich zum Kutscher auf den Bock. Eine Peitsche knallte, die Räder knirschten im Kies, und wenig später hatte die Kutsche das Bethlem Royal Hospital verlassen.
    »Wohin bringt Ihr mich?«
    »Halt’s Maul!«, fauchte Mr. Wild.
    Die Fahrt dauerte nicht lang und führte erst an der Stadtmauer entlang nach Westen und dann auf der breiten Aldersgate Street nach Süden. Als Bess kurz vor dem Stadttor die drei Spitzgiebel der niedrigen Kirche von St. Botolph sah und die Kutsche rechter Hand nach Little Britain einbog, glaubte sie zu wissen, wohin die Reise ging: zur Cross Keys Tavern.
    Tatsächlich hielt die Kutsche kurz darauf vor Mutter Needhams Taverne, und Bess wurde von Mr. Wild mit einem Wollknäuel und einem Taschentuch geknebelt. Am liebsten hätte sie ihm in die Finger gebissen, doch was hätte das gebracht?
    »Raus mit dir!«, befahl der Generaldiebesfänger und wandte sich dann an den Kutscher: »Warte nicht auf uns!«
    Draußen wurde Bess von Quilt Arnold in Empfang genommen, doch er führte sie nicht durch die Hofeinfahrt zum Hurenhaus, sondern auf die andere Straßenseite, wo sich der Eingang zum Friedhof von St. Botolph befand.
    Jetzt erinnerte sich Bess an die seltsame Bemerkung von Mr. Wild in Bedlam. Was es mit dem Friedhof von St. Botolph auf sich habe, hatte er von ihr wissen wollen. Verdutzt ließ sie sich von Quilt Arnold durch den Steinbogen auf den Kirchhof führen und versuchte, in der Dunkelheit irgendetwas zu erkennen. Der Mond stand als kaum sichtbare Sichel am Himmel, und nur die Fackeln des nahe gelegenen Stadttores von Aldersgate gaben ein wenig Licht ab. Trotzdem konnte man so gut wie nichts sehen.
    Der spitz zulaufende Friedhof lag regelrecht eingezwängt zwischen der schmucklosen Kirche im Osten, der hohen Backsteinmauer auf der Seite von Little Britain und der klobigen und altersschwachen Stadtmauer auf der Südseite des Friedhofs. Außer dem Torbogen mit dem quietschenden Gitter, durch den sie das Gelände betreten hatten, und einer kleinen Tür zur Sakristei gab es keinen weiteren sichtbaren Zugang. Der Haupteingang zur Kirche befand sich an dem Platz vor dem Stadttor.
    »Und nun?«, wandte sich Quilt Arnold an seinen Herrn.
    Mr. Wild drehte sich einmal um die eigene Achse und deutete auf ein Grabmal in unmittelbarer Nähe der Kirche, dessen enorme Ausmaße vermuten ließen, dass dort ein hochrangiger Würdenträger der Gemeinde begraben lag. »Wir haben noch Zeit, ich will mich erst umsehen«, sagte er. »Hast du die Pistole geladen?«
    »Ay, Sir«, antwortete der Handlanger und klopfte sich auf den breiten Gürtel, in dem eine doppelläufige Steinschlosspistole steckte.
    »Versteck dich mit ihr hinter dem Grabstein und gib keinen Ton von dir«, befahl Mr. Wild. »Wir warten, bis der Mistkerl kommt, und dann machst du einfach, was ich sage. Und wenn ich es sage. Verstanden?«
    Wieder bestätigte Quilt Arnold: »Ay, Sir!«
    »Und dir rate ich, keine Mätzchen zu machen«, wandte sich Mr. Wild an Bess. »Wenn du Krach machst oder fortlaufen willst, wird Quilt dir das Genick brechen oder dir ein Loch in die hübsche Brust schießen.«
    Bess schluckte und nickte, und Quilt Arnold meinte: »Mit Vergnügen, Sir!«
    Dann begann das Warten. Während Mr. Wild mit auf dem Rücken gefalteten Händen über den Friedhof schlich und sich jedem Grabstein und jedem Strauch oder Baum mit einer Inbrunst zu widmen schien, die Bess übertrieben vorkam, machte es sich Quilt Arnold hinter dem Grabmal bequem, kontrollierte die Ladung seiner Pistole und lehnte seinen Rücken an die Wand der Sakristei, ohne dabei jedoch Bess loszulassen. Mit seiner riesigen Pranke hielt er ihren Unterarm so fest gepackt, dass sie das Gefühl in den Fingern verlor und vermutlich blaue Flecken davontragen würde. Sie kniete zwischen

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