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Gegen alle Zeit

Gegen alle Zeit

Titel: Gegen alle Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
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eine Mischung aus Rosenwasser und Moschus. Er nahm seine Mütze ab und legte sich auf das breite Bett, das erstaunlich gut gefedert und gepolstert war. Während er die hölzerne Decke anstarrte, die ihm fast zum Greifen nahe schien, fasste er in seine Jackentasche und holte Sarahs Ring heraus. Wieder roch er daran und fuhr mit der Fingerkuppe über die Inschrift. Unsinn!, schalt er sich und steckte ihn wieder ein. Das Keuchen aus einem der Nachbarzimmer wurde lauter, steigerte sich zu einem wohligen Grunzen und verebbte schließlich.
    Dann fielen ihm die Augen zu.

6

    Mit einem Schrecken fuhr Henry in die Höhe. Er wusste nicht, ob er den Schrei, der ihn geweckt hatte, wirklich gehört oder nur geträumt hatte. Für einen kurzen Moment hoffte er, der ganze Albtraum sei endlich vorüber, doch dann nahm er den süßlichen Geruch wahr und ertastete in der Dunkelheit das fremde Bett.
    Mit der ernüchternden Erkenntnis kam die Erinnerung an den grässlichen Traum, der ihn so jäh aus dem Schlaf gerissen hatte. Wieder hatte er die blutigen Hände gesehen. Und mehr als das. Eine Bank im nächtlichen Postman’s Park. Ein länglicher Schatten auf dem Boden. Neben einer dunklen Pfütze. Sarah, die wie eine Furie geschrien hatte: »Du hast ihn umgebracht!« Und als er mit den blutigen Händen nach ihr gegriffen hatte, da war sie vor ihm zurückgewichen, als hätte sie Angst um ihr Leben.
    Im gleichen Augenblick hörte er erneut einen Schrei. Diesmal nicht in der Erinnerung, sondern aus dem Nachbarzimmer. Schmerzensschreie einer Frau. Und den wütenden Befehl eines Mannes: »Halt’s Maul, verdammt, sonst schlag ich dich tot!« Als Antwort schrie die Frau ein weiteres Mal.
    Sofort war Henry auf den Beinen, schlich hinaus in den Flur und horchte an Bess’ Zimmertür. Das Schreien war inzwischen zu einem Winseln oder Wimmern geworden. Und der Mann triumphierte mit unverkennbarem schottischen Akzent: »Wusst ich’s doch, dass dir das Spaß macht. Verdammte Hündin!«
    Wieder ein Schmerzensschrei!
    »Keine Scherereien!«, hatte Mutter Needham gesagt. Doch Henry konnte nicht anders. Er öffnete die Tür einen Spaltbreit und spähte in den von einer Kerze spärlich erleuchteten Raum. Das Erste, was er erkannte, war ein älterer Mann mit weißer Lockenperücke, der vollständig bekleidet, aber mit heruntergelassener Hose auf dem Bett kniete. Erst beim zweiten Hinsehen begriff Henry, dass das weiße Bündel, das vor dem Mann auf dem Bett lag, die ebenfalls kniende und gefesselte Bess war. Sie war nackt, hatte ein schwarzes Tuch vor den Augen und eine Art Lederband um den Hals, an dem der Mann wie an einer Hundeleine zog. Bess waren die Hände auf dem Rücken gebunden, und ihr Hintern wurde von dem Mann mit einer Art Reitgerte bearbeitet. Während sie auf diese Weise gepeinigt und dabei von hinten genommen wurde, winselte sie wie die Hündin, die der Mann in ihr zu sehen schien.
    »O mein Gott!«, entfuhr es Henry.
    Plötzlich war es mucksmäuschenstill im Raum.
    »Was um alles …«, murmelte der Schotte und ließ von Bess ab.
    »Alles in Ordnung, Bess?«, fragte Henry.
    »Henry?« Bess richtete sich auf und zischte: »Was willst du? Verzieh dich, du Blödmann!« Sie klang nun gar nicht mehr gepeinigt, sondern erbost. »Hau ab!«
    »Wer ist der Kerl, verdammt?!«, schimpfte der Mann.
    »Niemand, der uns kümmern muss. Macht einfach weiter, Colonel!« Damit beugte sie sich wieder nach vorne und fing abermals zu winseln an.
    Henry wäre vor Scham am liebsten im Boden versunken. Er murmelte ein »’tschuldigung«, schloss leise die Tür und atmete tief durch. Von drinnen hörte er den Mann fluchen: »Das wirst du mir büßen, Hündin!«
    Und als Antwort wimmerte sie ganz elendig und theatralisch: »O nein, Herr, tut mir nichts zuleide! Ich flehe Euch an.«
    Wie peinlich! Henry lief den Gang entlang, stürzte in der Dunkelheit beinahe die Treppe hinunter und rannte durch den verwaisten Schankraum nach draußen und auf die Straße. Es war inzwischen finstere Nacht, und erst als er das östliche Ende von Little Britain erreicht hatte und rechter Hand das mit Fackeln und Laternen beleuchtete Stadttor von Aldersgate sah, fragte er sich, was er nun machen sollte. Er musste zur Rosemary Lane, zu Mutter Blakes Gin-Shop, wie Blueskin es ihm vorhin in der Drury Lane zugeraunt hatte. Um seinen Anteil an der nächtlichen Beute abzuholen. Nicht so sicher war er jedoch, wie er dort hinkommen sollte. Der direkte Weg zum East End führte mitten

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