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Gegen alle Zeit

Gegen alle Zeit

Titel: Gegen alle Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
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brennende Kerze vom Boden und rannte aus dem Raum.

8

    Er lief hinunter in den Keller, der zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit Schnapsleichen gefüllt war, und stürzte sich auf die Stelle, an der er am Morgen aufgewacht war. Jedenfalls soweit er sich erinnern konnte. Im Funzellicht der Kerze tastete er den schmierigen Boden ab und mied den Gedanken daran, was er gerade alles anfasste. Das Stroh und der Steinboden darunter stanken erbärmlich, und wenn dies die Stelle war, an der er geschlafen hatte, dann hatte er vermutlich selbst den Grund für den Gestank geliefert.
    Immer hektischer suchte er den Boden ab, doch da war nichts. Jedenfalls nichts, was sich wie ein Akku anfühlte. Was er fand und sich im Kerzenschein besah, waren ein paar abgenagte Hühnerknochen, die Überreste einer toten Maus, eine winzige Kupfermünze und ein abgerissener Knopf. Das war’s.
    »Suchst du das hier?«, hörte er plötzlich ein raue Männerstimme aus einer dunklen Nische des Kellers. Als er die Kerze anhob und in die Richtung der Stimme ging, erkannte er den Mann mit dem Dreispitz von heute Morgen. Long John Silver mit dem Holzbein. Er schien jede Nacht in diesem Keller zu schlafen, auch wenn er gar nicht betrunken wirkte. Vielleicht hatte er kein Zuhause.
    »Was hast du da?«, fragte Henry und erkannte, dass der alte Mann etwas von der Größe einer Streichholzschachtel in der Hand hielt.
    »Was ist es dir wert, Macheath?«, antwortete der Mann.
    »Du kennst mich?«, fragte Henry verwundert und versuchte zugleich, sich seine Aufregung nicht anmerken zu lassen. Der flache, graue Gegenstand, den der Kerl nun in die Höhe hielt, war eindeutig der Akkublock seines Mobiltelefons. Er erkannte ihn an dem neongrünen Hologramm darauf.
    Der Alte hob die Schultern und wiederholte seine Frage: »Wie viel?«
    »Es gehört mir«, meinte Henry. »Ich hab’s heute Morgen hier verloren.«
    Wieder zuckte Long John Silver mit den Schultern und wollte den Akku bereits in seiner Jackentasche verstauen, als Henry ihm die kleine Kupfermünze hinhielt.
    »’n Farthing?«, lachte der Einbeinige. »Willst du mich verscheißern?«
    Henry griff in seinen Geldbeutel und holte eine der Shilling-Münzen heraus.
    »Na also«, sagte der Alte und gab ihm den Akku im Tausch gegen die Münze. »Und nimm dich in Acht, Macheath. Sie sind dir auf den Fersen.«
    »Wer?«, wollte Henry wissen. »Wovon redest du? Wer bist du überhaupt?«
    »Geoffrey Ingram, zu Diensten«, antwortete der Alte und griff sich an den Dreispitz. »Meine Freunde nennen mich Geoff.«
    »Der irre Geoff!«, entfuhr es Henry. »Mutter Blake hat dich erwähnt.«
    »Was weiß die schon!« Der Mann knurrte abfällig, lehnte sich gegen die Wand, schob sich den Dreispitz über die Augen und gab keinen Ton mehr von sich.
    Ingram! Noch so ein Zufall! Aber Henry war’s einerlei. So selten war sein Name nun auch wieder nicht. Andererseits war dieser Geoffrey Ingram womöglich ein Urahn von ihm, wer konnte das schon wissen? Henrys Vater hatte sich vor ein paar Jahren darangemacht, den Stammbaum der Ingrams zu ergründen, und hatte die Familienlinie bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgt. Angeblich stammten sie alle von einem angesehenen Kaffeehaus-Besitzer an der Piccadilly namens Jeremiah Ingram ab. Kaum anzunehmen, dass dieser einbeinige Irre etwas mit dem Geschäftsmann aus Westminster zu tun hatte.
    Henry wandte sich grußlos ab, rannte über die Treppe nach draußen, lief in Richtung Tower und verkroch sich im Schatten der Festung hinter einem Mauervorsprung. Er wartete eine Weile, als wollte er sichergehen, dass niemand ihm gefolgt war, dann legte er den Akku ins Fach und hielt ihn wegen der fehlenden Abdeckung mit den Fingern in dieser Position. Er drückte auf den Einschaltknopf, das Display leuchtete, Henry gab seine PIN ein, und die Willkommens-Fanfare des Handys ertönte.
    »Ja!«, entfuhr es Henry, obwohl er nicht so recht wusste, worüber er sich eigentlich freute. Nach kurzer Zeit erschien eine Textmeldung auf dem Bildschirm: »Netzsuche.« Und dann: »Kein Empfang.« Obwohl ihm bewusst war, dass er nichts anderes hätte erwarten können, war er doch enttäuscht. Es wäre auch zu schön gewesen!
    Als Nächstes ging er ins Menü des Handys und durchforstete die Ruflisten. Unter dem Menüpunkt »Gewählte Nummern« fand er als letzten Eintrag: »Sarah Mobil«. Leider merkte sich das Gerät nicht, wann er diesen Anruf getätigt hatte. Er schaute unter »Angenommene Anrufe« und fand abermals

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