Gegen alle Zeit
bekam. Er war noch ein Jüngling, kaum zwanzig Jahre alt und somit nur wenig älter als Bess, und ein kleiner, schmächtiger Mann obendrein. Doch trotz seiner jungenhaften Statur und seines leichten Sprachfehlers war er bei den Frauen, namentlich den Huren von St. Giles, sehr beliebt. Jack war ein hübscher Bursche mit feinen Gesichtszügen, doch Bess erinnerte sich, dass es vor allem sein ansteckendes Lachen und seine unverstellte und erfrischende Art waren, die sie von Beginn an für Jack eingenommen hatten. Er war mit seinen gerade einmal fünf Fuß und vier Zoll kein stattlicher Mann, aber ein lustiger Kerl und alles andere als ein Dummkopf. Womit er sich merklich von dem Gros seiner Geschlechtsgenossen unterschied. Andere Männer wollten groß sein oder zumindest erscheinen, sie plusterten sich auf und spielten mit den Muskeln, Jack hingegen wollte Großes tun , seine äußere Erscheinung war ihm egal, ihm kam es allein auf die Wirkung an. Und das erklärte seinen Erfolg. Bei den Frauen wie bei seinen Kumpanen.
Es machte Spaß, Jack zuzuhören und mit ihm zusammen zu sein, und mehr als einmal ließ Bess ihn unter ihren Rock, ohne Geld dafür zu verlangen. Nicht weil sie in ihn verliebt gewesen wäre, sondern weil schlichtweg nichts dagegen sprach. Bess mochte Jack, sie konnte ihn gut leiden und fand ihn äußerst unterhaltsam. Warum sollte sie ihn also nicht dann und wann dafür belohnen, dass er sie zum Lachen brachte. Ein Lachen, das ihr zuvor so lange im Halse stecken geblieben war. Doch schon bald merkte sie, dass er Gefühle für sie hegte, die sie nicht in gleichem Maße erwidern konnte. Gefühle, die sie nie wieder erwidern wollte, bei niemandem – das hatte sie sich geschworen.
Jack war vernarrt in sie, himmelte sie an und folgte ihr auf Schritt und Tritt, ja einmal ertappte sie ihn sogar dabei, dass er vor ihrer Zimmertür saß, während sie drinnen mit einem Freier beschäftigt war. Sie lachte ihn deswegen aus, doch statt beleidigt zu sein, stimmte er in das Lachen mit ein. Bess gab ihm klar zu verstehen, dass sie ihn niemals lieben würde, doch das schien Jack nur umso mehr anzustacheln und herauszufordern. Je distanzierter oder gleichgültiger sie sich gab, desto deutlicher suchte er ihre Nähe. Jack umgarnte Bess, machte ihr in aller Form den Hof, spielte ihren Beschützer oder Unterhalter und war dabei klug genug, gleichzeitig der Mutter Needham Honig um den von der französischen Krankheit entstellten Mund zu schmieren und nicht den Anschein zu erwecken, hinter ihrem Rücken zu agieren. Nicht nötig zu erwähnen, dass Mutter Needham den »kleinen Jack«, wie sie ihn nannte, beinahe wie einen eigenen Sohn behandelte.
Bess und Jack galten bald als Liebespaar, obwohl sie es gar nicht waren. Jedenfalls nicht, wenn man Bess danach gefragt hätte. Sie ließ sich weiterhin für das Beiliegen bezahlen und hätte den Gedanken vermutlich absurd gefunden, Jack als ihren Liebsten zu betrachten. Zu unterschiedlich waren sie, allein was die äußere Erscheinung anlangte, aber auch hinsichtlich ihres Wesens. Sie waren wie eine Ansammlung von Gegensätzen und Widersprüchen. Jack war offen und freundlich, dabei aber zielstrebig und energisch. Bess gab sich verschlossen und galt als unzugänglich, was sie jedoch vor allem als Selbstschutz verstand. Er liebte es, in Gesellschaft zu sein und einen guten Eindruck zu hinterlassen, sie hingegen scherte sich nicht um die Meinung anderer und ganz gewiss nicht um die der Männer. Nein, sie waren kein Paar. Aber zumindest waren sie sich in gewisser Weise ebenbürtig.
Dieses Gleichgewicht erhielt jedoch völlig unvermittelt einen Schlag, und die Waage kippte. Mit einem Mal stand sie in Jacks Schuld, und es war offensichtlich, was er als Gegenleistung wünschte. Auch wenn er es nie ausdrücklich verlangte.
Es war vor anderthalb Jahren, im März 1723. Bess hatte den dummen Fehler begangen, einen Freier nach Hause zu begleiten. Auf fremdes Terrain, das hatte ihr Mutter Needham eingebläut, durfte man sich nur im Ausnahmefall begeben. Ihr Zimmer im Hurenhaus, die Dachkammer im Black Lion, einige Gassen und Hinterhöfe in der Nähe der Drury Lane – das war sicherer Hafen und bot Schutz. Alles andere war zu gefährlich. Jedenfalls wenn der Freier einem nicht persönlich bekannt war. Doch der Mann hatte ihr als Belohnung für ihre Dienste das Doppelte des üblichen Preises geboten. Bess war schwach geworden, und als sie die erniedrigende und schmerzhafte Prozedur in der
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