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Gegen alle Zeit

Gegen alle Zeit

Titel: Gegen alle Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
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Stadtvilla des Gentlemans in Soho hinter sich gebracht hatte, hatte sie sich revanchiert, indem sie eine goldene Taschenuhr von einer Kommode im Schlafzimmer mitnahm. Dummerweise hatte der Mann einen solchen Diebstahl vorhergesehen und entsprechende Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Als Bess zur Tür hinaus wollte, wurde sie von einem Bediensteten aufgehalten und von Kopf bis Fuß abgetastet. Schnell war die Uhr unter ihrem Petticoat gefunden, und ebenso bald hatte der Gentleman die Konstabler der Gemeinde gerufen. Bess wurde zum Roundhouse von St. Giles, dem winzigen Gefängnis des Kirchspiels, gebracht und dem dortigen Pedell, einem gewissen Mr. Brown, übergeben.
    Am folgenden Tag sollte Bess zum New Prison in Clerkenwell überstellt werden, damit ihr während der nächsten Gerichtssession am Old Bailey der Prozess gemacht wurde. Doch daraus wurde glücklicherweise nichts. Als Jack am frühen Morgen erfuhr, dass Bess im Roundhouse einsaß, ging er schnurstracks zum Gefängnis und forderte den alten Mr. Brown auf, die Gefangene freizulassen. Als der Kirchenpedell sich weigerte, schlug Jack ihn kurzerhand mit einem Stuhl nieder, fesselte und knebelte ihn, nahm ihm die Schlüssel ab und befreite Bess.
    Bei den Huren und Gaunern von St. Giles sowie bei Mutter Needham galt Jack fortan als strahlender Held, der alle Mühen und Risiken auf sich genommen hatte, um seine Liebste aus dem Gefängnis zu befreien. Dass es sich bei dem Roundhouse lediglich um ein kaum gesichertes Gemeindehaus und bei dem Pedell um einen greisen und gebrechlichen Kirchendiener gehandelt hatte, spielte keine Rolle und wurde in den Erzählungen, die in den Schänken kursierten, leicht abgewandelt oder übergangen. Jack war plötzlich in aller Munde und ließ sich gebührend feiern, ohne dabei prahlerisch oder überheblich zu wirken. Ganz der bescheidene Jack, der es sich sogar nicht nehmen ließ, bei den Lobhudeleien rote Wangen zu bekommen und verschämt den Blick zu senken.
    Auch wenn Bess natürlich froh war, dass sie befreit und vor einem Prozess bewahrt worden war, beschlich sie dennoch ein ungutes und mulmiges Gefühl, denn von nun an war sie Jack etwas schuldig. Sie war ihm zu Dank verpflichtet, was ihr zutiefst unangenehm und grundsätzlich zuwider war, und sie hatte den Eindruck, dass weit mehr als nur Dank von ihr erwartet wurde. Jack hatte ihr auf geradezu ritterliche Weise seine Liebe bezeugt, und nun war es an ihr, es ihm in gleicher Währung zurückzuzahlen. Mit aufrichtig empfundener Liebe konnte sie nicht dienen, also gab sie ihm ihren Körper und wurde seine Mistress. Mit Wissen und Billigung der sichtlich gerührten Kupplerin.
    Was folgte, war eine Zeit des Übergangs. So betrachtete es Bess zumindest im Nachhinein. Nach außen hin änderte sich nicht viel. Sie logierte weiterhin in Mutter Needhams Hurenhaus in Covent Garden, während Jack im Hause seines Meisters, Owen Wood, in der Wych Street wohnte, auch wenn er die Nächte immer häufiger außerhalb der Tischlerei verbrachte. Doch im Sommer 1723 traf Jack eine folgenschwere Entscheidung. Er begann seine Laufbahn als Dieb und Gauner. Zunächst entwendete er lediglich Kleinigkeiten und Kinkerlitzchen aus den Häusern der Kunden, für die er irgendwelche Schreinerarbeiten ausführte. Dabei war er so geschickt, dass der Verdacht stets auf das Hausgesinde, nicht aber auf den allseits beliebten und scheinbar gutmütigen Schreinerlehrling fiel. Mit der Zeit allerdings wurde Jack immer dreister und gieriger, er beließ es nicht mehr nur dabei, während der Arbeit ein paar Silberlöffel oder Münzen mitgehen zu lassen, sondern kehrte in der Nacht zurück, um in die betreffenden Häuser einzubrechen. Jack war ein äußerst geschickter Tischler, und seine Arbeit ermöglichte es ihm, die Fenster und Läden so zu präparieren, dass sie mit einem leichten Kniff von außen zu öffnen waren, oder er fertigte Zweitschlüssel für die Haustüren an, die er zuvor repariert hatte.
    Bess störte sich nicht daran, dass Jack ein Dieb und Einbrecher wurde. Es war ihr letztlich egal, womit er sein Geld verdiente, auch wenn sie ihn mehr als einmal bat, seine Lehre nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Allerdings gewann sie mehr und mehr den Eindruck, dass Jack vor allem deshalb zum Gauner wurde, um sie, Bess, zu beeindrucken. Dafür sprach nicht nur die Tatsache, dass er ihr die erbeuteten Schätze geradezu aufnötigte – was sie rundheraus ablehnte –, sondern auch, dass er anschließend von

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