Gegen alle Zeit
ihr für sein gewieftes Tun gelobt werden wollte und beleidigt war, wenn sie ihm stattdessen ins Gewissen redete. Bess war zwar eine Hure und Taschendiebin, aber das war sie nicht aus freien Stücken geworden, und sie begriff nicht, weshalb Jack solch einen Gefallen daran fand, sich unnötig und freiwillig in Gefahr zu bringen. Bess machte sich in diesem Punkt nichts vor: Jeder Dieb und jede Hure endeten irgendwann am Schandpfahl, als Sklave in den amerikanischen Kolonien oder am Galgen von Tyburn. Doch der Erfolg gab Jack recht und berauschte ihn geradezu, Huren wie Poll Maggott oder Kate Cook schenkten ihm die Anerkennung, die Bess ihm verweigerte, und so wurden seine Einbrüche und Diebestouren immer waghalsiger und verwegener.
Schließlich kam es, wie es kommen musste. Als er bei einem Stoffhändler namens Bains gleich fünfundzwanzig Yards eines teuren Barchent-Stoffes entwendete und diesen in seinem Schrankkoffer in der Schreinerei zwischenlagerte, wurde er von einem anderen Lehrling gesehen und an den Meister verraten. Jack wurde von Mr. Wood zur Rede gestellt und bestritt den Diebstahl. Er beteuerte, er habe den Barchent von seiner Mutter in Spitalfields geschenkt bekommen. Die arme Mary Sheppard, deren Verstand seit Jahren durch übermäßiges Gintrinken angegriffen war und die kaum einen zusammenhängenden Satz über die Lippen brachte, bestätigte die Aussage ihres Sohnes, ohne recht zu wissen, worum es überhaupt ging. Ja, sie machte sich sogar auf die Suche nach dem nicht existierenden Schneider in der Brick Lane, bei dem sie angeblich den Stoff gekauft hatte, geriet dabei völlig in Verwirrung und aus der Fassung und flehte den Meister auf Knien an, ihren kleinen Jack zu verschonen. Owen Wood glaubte den Sheppards kein Wort, und Mr. Bains drohte unverhohlen, Jack vors Gericht zu bringen. Also nahm Jack kurzerhand Reißaus und quartierte sich in einem Zimmer in Fulham ein, einige Meilen flussaufwärts und fernab der City.
Nun kam für Bess die Zeit, ihre Schuld zu begleichen, und seltsamerweise war es ausgerechnet Mutter Needham, die sie dazu aufforderte, Jack nach Fulham zu folgen und ihm getreulich zur Seite zu stehen. Für eine Weile jedenfalls, bis Gras über die Sache gewachsen sei und sie beide nach London zurückkehren könnten. Bess willigte ein, allerdings nicht, weil sie es für notwendig oder erstrebenswert hielt, mit Jack zusammenzuwohnen, sondern weil sie sich verpflichtet fühlte, ihn nicht im Stich zu lassen. Und so war sie auch nicht besonders traurig, dass ihr Ausflug nach Fulham bereits nach wenigen Tagen wieder beendet war. Wie der Zufall es wollte, lebte ein Bruder von Meister Wood nur einen Steinwurf von Jacks Wohnung entfernt und erkannte den Lehrling auf der Straße. Jack wurde gefasst, in Fesseln nach London zurückgebracht und von Mr. Wood dazu gezwungen, den Barchent-Stoff zurückzugeben. Im Gegenzug ließ Mr. Bains, der die Mühen und Kosten eines Prozesses scheute, die Anklage fallen und die unselige Sache auf sich beruhen. Jacks Vertrag mit Mr. Wood wurde nur wenige Monate vor Beendigung der Lehre aufgehoben, und Jack zog unbeschadet von dannen. Er war noch einmal glimpflich davongekommen.
Mit seiner Lehre war es nun unwiderruflich vorbei, doch das schien er nicht als Makel zu empfinden. Ganz im Gegenteil. Er mietete für sich und Bess (die er diesbezüglich gar nicht erst um ihre Meinung bat) eine Wohnung am oberen Ende von Piccadilly und lebte mit ihr für eine Weile von der Beute, die er in den letzten Wochen ergaunert hatte. Dann und wann verdiente er sich ein wenig Geld mit Aushilfsarbeiten für einen befreundeten Tischler, doch in den Nächten spielte und trank er in den Schänken und hielt Ausschau nach Gebäuden, in die es sich einzubrechen lohnte. Bess arbeitete derweil wieder für Mutter Needham, ohne jedoch in ihrem Haus zu logieren, und Jack erging sich in hochtrabenden Plänen für ihre gemeinsame Zukunft. Strahlend und gewinnbringend sollte sie sein, ein Held würde er werden, stolz sollte Bess auf ihren Jack sein.
Sie lebten wie Mann und Frau, Bess nannte sich sogar Mrs. Sheppard, und beinahe kam sie sich auch so vor. Jack las ihr jeden Wunsch von den Augen ab, behandelte sie wie eine Königin, und auch wenn sie ihn nach wie vor nicht von ganzem Herzen lieben konnte, so waren seine gute Laune und sein unverbrüchlicher Optimismus dennoch ansteckend. Bess mochte Jack, sie mochte ihn wirklich, und das war etwas, was sie von keinem anderen Mann behaupten
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