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Gegen alle Zeit

Gegen alle Zeit

Titel: Gegen alle Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
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würde.
    In Gedanken legte sie sich die Worte zurecht, mit denen sie auf Mr. Wilds Fragen antworten wollte, devot und respektvoll sollten sie sein, süß und schmeichelnd, aber nichtig und nichtssagend. Doch die Stunden verrannen, nichts geschah, niemand erschien. Und je länger es dauerte, desto verworrener wurden ihre Gedanken, und desto sinnloser erschienen ihr jegliche Ausflüchte oder Lügen. Vielleicht sollte sie Mr. Wild einfach alles sagen, was sie wusste, auch wenn sie keine Ahnung hatte, was er von ihr hören wollte. Womöglich sollte sie sich ihm schlichtweg an den Hals werfen und ihre weiblichen Reize für sich sprechen lassen. Schon bei ihrer ersten Begegnung in jener Schänke war Bess aufgefallen, dass Mr. Wild kaum die Augen von ihren Brüsten hatte abwenden können. Und sie ärgerte sich, dass sie heute das hochgeschlossene Samtkleid trug, das ihren üppigen Busen nicht recht zur Geltung brachte. Vielleicht sollte sie das Kleid ablegen und ihm im Unterkleid entgegentreten? Oder gleich wie Gott sie erschaffen hatte? Doch dafür musste er erst einmal auftauchen! Mr. Wild natürlich, nicht Gott.
    Mehrmals öffnete sich die Tür, doch stets wurde ihr nur ein neuer Krug Gerstenwasser gereicht und die Tür sofort wieder verschlossen. Die ständige und völlige Dunkelheit setzte ihr zu und ließ ihre Gedanken sich im Kreis drehen, bis sie glaubte, ihren Verstand zu verlieren. Sie hämmerte an die Tür und schrie sich die Lunge aus dem Leib, doch niemand antwortete darauf. Als hätte man sie vergessen. Obwohl sie viel trank und der Krug stets neu gefüllt wurde, hatte sie einen kaum zu stillenden Durst. Und je mehr sie trank, desto schlimmer wurde es. Vielleicht lag es daran, dass man ihr nichts zu essen gab. Nur Gerstenwasser. Das war zwar erfrischend und schmeckte nach Zitrone, aber gleichzeitig hatte es einen fauligen Beigeschmack, gerade so, als hätte man das Wasser dafür aus dem Fleet geholt. Sie lachte, wenn auch mehr vor Schreck. Denn so schmeckte das giftige Bilsenkraut, mit dem die Wirkung mancher Biere verstärkt wurde.
    Und plötzlich wusste sie, was es mit dem Gerstenwasser auf sich hatte.
    Wie hatte der fremde Mann vor dem Black Lion Inn gesagt? »Ich kann Euch was besorgen, wenn Ihr wollt. Kostet Sixpence.« Sie hatte das Te Deum Laudamus gesungen! Nimmt die Schmerzen, benebelt die Sinne, macht wirre Träume. »Meine Schwester stellt’s her, nach ’nem Geheimrezept.« Und leise flüsterte sie: »Laudanum!« Opiumtinktur mit einer Prise Bilsenkraut!
    Im selben Augenblick öffnete sich die Tür, und Mr. Wild betrat mit einem Windlicht in der Hand den Kerker. Statt einer Begrüßung sagte er: »Dann wollen wir mal!« Und er setzte sich auf seinen Stuhl, als hätte er den Raum nur mal kurz zum Pinkeln verlassen.
    Bess stand starr wie eine Statue neben dem Tisch und stierte auf den Krug. Beim letzten Mal hatten sie mit der plumpen Methode Erfolg gehabt und sie mit Gin betrunken gemacht. Diesmal waren sie geschickter vorgegangen und hatten sie gefügig gemacht, ohne dass sie es gemerkt hatte. Nur dass sie ihnen auf die Schliche gekommen war. Wenn auch zu spät!
    »Mir ist schlecht«, sagte Bess und lehnte sich gegen die Wand. »Das Wasser ist faulig.« Und in Gedanken setzte sie hinzu: Sei auf der Hut, Bess! Sei auf der Hut!
    »Das ist die Gerste«, antwortete Mr. Wild und lächelte milde. »Ist aber sehr bekömmlich.« Und mit einem irritierenden Gedankensprung setzte er hinzu: »Du wolltest mit mir über Albrecht Niemeyer sprechen?«
    Bess starrte ihn überrascht an und wollte sagen: »Albrecht wer? Nie gehört.« Doch stattdessen sagte sie: »Ja, das wollte ich.«
    »Na, dann schieß los.«
    »Ich hab nichts gesehen.«
    »Aha.«
    »Ich meine, niemanden.« Bess versuchte, auf ihre Worte zu achten und sie zurückzuhalten, doch sie entschlüpften ohne ihr Dazutun. Als wären sie kleine Vögelchen, die tatenlustig dem Nest entfleuchten. Sie sagte: »Ich habe niemanden gesehen.«
    »Und wen hast du nicht gesehen?«
    »Hell and Fury, wen sonst?« Sie überlegte, ob es an der Zeit war, sich auszuziehen. Doch Mr. Wild starrte nicht auf ihre Brüste. Vielleicht war er doch nicht interessiert. »Eigentlich heißt er Sykes«, setzte sie unnötig hinzu.
    »Aha.« Mr. Wild nickte verständnisvoll. »Und wo hast du ihn nicht gesehen?«
    »Nirgendwo natürlich.« Bess war stolz auf sich. Sie war auf der Hut gewesen. So leicht war sie nicht auszutricksen.
    »Sicher.« Wieder ein Nicken. »Und was

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