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Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition)

Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition)

Titel: Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joschka Fischer , Fritz Stern
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im Innern – Demokratisierung, Liberalisierung, Modernisierung – werden in meinen Augen durch die Anerkennung der deutschen Ostgrenze um ein Vielfaches überboten, das war eine unglaubliche Leistung. Dass dieselbe sozial-liberale Regierung auch die Berufsverbote zu verantworten hat, steht auf einem anderen Blatt.
    STERN    Brandt war die Wende. So etwas wie eine zweite Gründung der Bundesrepublik. Der paternalistische, um nicht zu sagen autoritäre Stil von Adenauer ging nicht mehr. Ein neuer, vielleicht unruhigerer, aber auch sehr viel freierer Ton hielt mit Willy Brandt Einzug. «Mehr Demokratie wagen» war mehr als nur ein Schlagwort. Es traf die Gesellschaft der Bundesrepublik an einem Nerv.
    FISCHER    Und da spielte der Generationenwechsel eine große Rolle. Die Veränderung der Alltagskultur, das Aufkommen einer neuen Jugendkultur, die Infragestellung patriarchaler Strukturen, eine grundsätzlich neue Definition des Geschlechterverhältnisses und der Rolle der Frauen, die Popmusik – da war ein Mentalitätswandel im Gange, der die Reformen geradezu herbeizwang, sie jedenfalls beschleunigte. Die treibenden Kräfte kamen aus der so genannten Flakhelfergeneration oder kamen als junge Soldaten zurück, Leute wie Bahr und Ehmke, und die Ordinarien hießen nicht mehr Eschenburg oder Adorno, sondern Dahrendorf und Habermas. Diese Generation, die man noch ganz zum Schluss des Zweiten Weltkriegs in Uniform gesteckt hatte, ist für mich die eigentliche Gründergeneration der Bundesrepublik. Augstein gehörte auch dazu, Günter Grass und viele andere. Ja, und Helmut Kohl und Helmut Schmidt nicht zu vergessen.
    STERN    In Amerika erfolgt dieser Generationenwechsel einige Jahre früher. «The Great Generation», also die Generation der Weltkrieg-II-Veteranen, wird Anfang der sechziger Jahre abgelöst durch diejenigen, die den Zweiten Weltkrieg nur noch als junge Soldaten mitgemacht hatten. Symbolisiert wird diese Ablösung durch den Wechsel im Weißen Haus 1961 von Eisenhower zu Kennedy.
    FISCHER    Von Granddad zu einem strahlenden jungen Paar mit kleinen Kindern, die im Oval Office herumtollen.
    STERN    Brandt nahm sich Kennedys grandiose Wahlkampagne zum Vorbild und schaute sich einiges ab.
    FISCHER    Im Zusammenhang mit der Neugründung der Bundesrepublik durch die Flakhelfergeneration habe ich eben ein paar Namen genannt. Einen dürfen wir dabei mit Sicherheit nicht vergessen: Franz Josef Strauß. Der war alles andere als langweilig. Ich will mal die Gelegenheit hier nutzen, einige Gedanken anzustellen, die mir, ehrlich gesagt, früher nicht gekommen wären. Franz Josef Strauß, den ich seit meiner eigenen Politisierung immer als eine Art «Gott sei bei uns» angesehen hatte, war für die Integration der nationalen Rechten in der Bundesrepublik Deutschland von entscheidender Bedeutung. Ich glaube, das war seine historische Leistung. Es mag ja sein, dass aus regionaler oder aus bayerischer Sicht die eigentliche Leistung von Strauß die Modernisierung Bayerns war, die Umwandlung einer überwiegend agrarischen Gesellschaft in eine hochleistungsfähige Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft, und dass er, obwohl tief im katholischen Milieu verwurzelt, alles andere als ein vom Weihrauch benebelter treuer Gefolgsmann der katholischen Kirche war. Aber ist nicht, gesamtgesellschaftlich gesehen, seine originäre Leistung die Integration der nationalen Rechten in die Demokratie der alten Bundesrepublik?
    STERN    Das war jedenfalls sein erklärtes politisches Ziel, dass es rechts von der CSU keinen Platz für eine weitere Partei geben dürfe. Aber war das nicht auch Adenauers Ziel? Keine Frage, ich stimme Ihnen zu, dass Strauß gerade auch mit seinem massiven Auftreten viele Menschen im rechten Lager näher an die Bundesrepublik herangeführt hat.
    FISCHER    Ich habe zwar nicht verstanden, was er da tat; und wenn ich es verstanden hätte, hätte ich politisch genauso dagegen gekämpft. Aber heute, mit dem Abstand der Zeit, sollte man seine Leistung, was die Integration der nationalen Rechten anbetraf, nicht gering schätzen.
    STERN    Ich glaube nicht, dass er sich wirklich bewusst war, was er machte. Auch wenn er sagte, dass es sein Ziel sei, eine rechte Partei zu verhindern, so verfolgte er doch in erster Linie seine eigenen Ideen, und die drehten sich vor allem um seine Machtposition, die unablässig auszubauen seine eigentliche Mission war.
    FISCHER    Zweifellos gab es bei Strauß

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