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Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition)

Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition)

Titel: Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joschka Fischer , Fritz Stern
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deutschen Juden, die früh ausgewandert sind, weil sie gleichzeitig politisch verfolgt wurden, zur Linken gehörten. Auch die Frage nach den Verrätern wurde damals ja ganz anders beantwortet als heute. Die Widerstandskämpfer, die Leute von der Roten Kapelle oder die Leute vom 20. Juli, galten als Verräter, während echte Patrioten angeblich auf ihrem Posten geblieben waren, um «Schlimmeres zu verhüten». All das ist mir wieder klar geworden im Zusammenhang mit diesem Skandal im Auswärtigen Amt. Mit Verrat kannst du heute niemandem mehr wirklich kommen, dachte ich, aber dann wurde ich auf den Fall Rudolf von Scheliha aufmerksam, der 1942 wegen angeblicher Spionage hingerichtet worden war und dem das Amt deshalb nach dem Krieg ein ehrendes Andenken verweigerte. Scheliha wurde erst 1995 rehabilitiert, und erst in meiner Amtszeit wurde am neuen Dienstort in Berlin eine Tafel für ihn enthüllt. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich aber keine Ahnung, was da noch alles unter der Decke schlummerte.
    STERN    Wann haben Sie zum ersten Mal die Dimension des Skandals begriffen?
    FISCHER    Na, es ging los … Wann wurde das Amt gegründet? 1952? 1952 oder 1951. Jedenfalls kam in der Vorbereitung der 50-Jahr-Feier eines Tages ein Brief von einem Altbotschafter namens Wickert auf meinen Tisch. Er bedanke sich für die Einladung, er werde aber nicht teilnehmen, denn ich hätte ja einen Pol-Pot-Freund eingestellt, Herrn Schmierer vom KBW, und der habe Pol Pot verherrlicht und so weiter. Okay, hab’ ich mir gedacht, und habe ihm zurückgeschrieben, es wäre schade, aber ich würde akzeptieren, dass er nicht kommen wolle; mich würde nur wundern, dass ausgerechnet seine Generation – ich erinnere mich nicht genau an die Formulierung – Herrn Schmierer nicht das Recht einräume, seine politische Auffassung zu ändern. Ich habe Herrn Schmierer nicht als Pol-Pot-Freund eingestellt, sondern weil er ein sehr guter Analytiker Europas geworden war. Seine Meinung über Pol Pot habe ich nie geteilt; er war im KBW, ich war Sponti, wir haben uns eher bekämpft, aber die Kenntnis solcher Feinheiten durfte ich von einem Altbotschafter natürlich nicht erwarten. Trotzdem hatte ich schon damals massiv mit dem Zaunpfahl gewunken.
    STERN    Wussten Sie damals Näheres über die Vergangenheit von Erwin Wickert?
    FISCHER    Nur ein bisschen, aber ich fing dann an, mich zu erkundigen. Wickert gab dann erst einmal Ruhe. Richtig hochgekocht ist die Sache zwei Jahre später im Zusammenhang mit dem Nachruf auf Generalkonsul Nüßlein. Ich habe daraufhin die bis dahin geltende amtsinterne Nachrufpraxis durch einen entsprechenden Erlass geändert, dass künftig jeder Einzelfall geprüft werden müsse.
    STERN    Das wurde von vielen Angehörigen des AA offenbar als ein direkter Angriff auf ihre Ehre verstanden.
    FISCHER    Und das hatte ich damals nicht mehr für möglich gehalten. Ich hatte vor allem die Sorge, dass das in die Presse kommt: Das Auswärtige Amt ehrt alte Nazis! Der Fall Nüßlein durfte sich auf keinen Fall wiederholen, das hätte den Ruf des Amtes auch im Ausland schwer beschädigt. Die Frage für mich war daher ganz einfach: Wie kann ich Schaden abwenden? Meine Haltung erwies sich als ziemlich naiv. Aber ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass daraus ein Problem entstehen könnte, weil ich dachte, es gibt in dieser Frage doch einen Konsens, der sich nach vielen Jahrzehnten schließlich entwickelt hatte unter Weizsäcker, Kohl, Herzog. Und plötzlich stand ich in einem Kulturkampf 1968 gegen 1938. Da allerdings habe ich gesagt: Ja, wenn ihr den wollt, Freunde, dann könnt ihr den haben. Als dann die Visa-Affäre hochkam, ging’s richtig los. Da dachten die wohl, jetzt haben wir ihn. Ohne die Visa-Affäre hätte die Frage der Nachrufe wohl nie eine solche Wirkung gehabt. Das habe ich mir ein Weilchen angeguckt, dann hatte ich die Faxen dicke und habe diese Kommissionsidee ausgebrütet.
    STERN    Aus Sicht des Historikers die einzig vernünftige Antwort.
    FISCHER    Mir war klar, dass ich da meinen letzten Stein in die Luft werfe, der lange Zeit unterwegs sein würde, sich während seines Fluges aber auf wundersame Weise verändern und am Ende als Hinkelstein auf die römischen Legionäre niedergehen würde. Mir war aber auch klar, dass ich den Einschlag, das Erscheinen des Kommissionsberichts, nicht mehr im Amt erleben würde.
    STERN    Was machte Sie so sicher? Sie konnten ja nicht wissen, zu welchen

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