Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition)
eher im anderen Lager stehen, oft erstaunlich schnell Zugang findet. Was gab den Ausschlag im Fall Ihrer Beziehung zu Scharon?
FISCHER Das kann ich Ihnen sagen: Offenheit und Verlässlichkeit. Ariel Scharon hat nie ein Wort gebrochen, das er mir gegeben hat, nie.
STERN Und waren das wichtige Fragen?
FISCHER Das waren wichtige Fragen. Wenn er sagte, das machen wir, dann stand er dazu, selbst wenn es ihn sehr geschmerzt hat.
STERN Aber das ist doch ein Beispiel für das, was ich immerfort sage. Es müsste doch möglich sein, wenn das Grundvertrauen da ist …
FISCHER Es ist möglich …
STERN Und warum wird es dann nicht genützt?
FISCHER Fritz, es wurde doch versucht, auf der Grundlage der Politik, die wir für richtig befunden haben, das Maximum zu bewirken. Insofern ist das jetzt eine Debatte, die etwas über Kreuz ist. Sie verlangen mehr Druck auf Israel, damit die eine vernünftigere Politik machen. Hier bei uns kommt permanent die deutsche Identitätsfrage dazwischen, warum dürfen wir denen nicht endlich mal sagen, wie wir das wirklich sehen. Diese beiden Punkte muss man sehr klar auseinanderhalten.
STERN Ist ein nüchterner Blick nicht Vorbedingung für vernünftige Politik, bei aller Diplomatie und bei aller Zurückhaltung? Ob man auf Dauer gegen die Volksstimmung Politik machen kann, ist eine andere Frage.
FISCHER In einer so zentralen nationalen Frage, bei der es um die Identität von uns Nachkriegsdeutschen geht, muss man immer wieder versuchen, Stimmung in vernünftige Argumente zu transformieren. Und sehr vieles ist Stimmung. Wenn zum Beispiel diese Bilder im Fernsehen auftauchen – also Steine gegen Panzer –, dann hat der Panzer in der öffentlichen Meinung von vornherein verloren. Das ist die alte Geschichte von David und Goliath. Goliath ist der Panzer, und David ist der mit dem Stein.
STERN Ja, die Israelis waren David 1948 und vielleicht noch 1967, aber man kann nicht ewig David spielen und den Goliath an die Wand malen. Ganz bestimmt nicht, wenn man über sehr viel mehr verfügt als über Steine.
FISCHER Ich rede vom jetzigen Konflikt. Und davon, dass die Bilder oft lügen, dass sie zumindest nicht die Realität so widergeben, wie sie wirklich ist. Manche Aufnahmen sind auch gestellt, weil das Fernsehen nach solchen Bildern verlangt. Ich will hier keine Zweifel an meiner Haltung zu den Palästinensern aufkommen lassen, ich habe mich immer für die legitimen Interessen der Palästinenser und für ihren Wunsch nach einem eigenen demokratischen Staat eingesetzt, weil ich glaube, dass das im Interesse beider Völker liegt. Sie haben hier einen überzeugten Zweistaatler vor sich, der allerdings fürchtet, dass das historische Fenster dafür bald geschlossen ist.
STERN Ich bin auch ein Zweistaatler. Aber leider sind die Zweistaatler in Israel und in den meisten arabischen Ländern nicht an der Regierung. Wir sollten uns erinnern: Sowohl im Sechs-Tage-Krieg 1967 als auch sechs Jahr später im Jom-Kippur-Krieg genoss Israel weltweit immense Sympathie, in Deutschland dürfte die Zustimmung damals bei annähernd hundert Prozent gelegen haben. Das ist jetzt vierzig Jahre her. Seither hat die Sympathie für Israel kontinuierlich abgenommen. Warum? Da spielen die Siedlungspolitik und der kompromisslose Umgang mit den Palästinensern, denen man jede Hoffnung nimmt, dass es irgendwann zu einer Lösung kommen könnte, eine ganz große Rolle. Und am Rande gefragt: Die Araber innerhalb Israels, werden die denn eigentlich demokratisch behandelt? Joschka, ich will nicht missverstanden werden. Ich selber war ganz begeistert von der Gründung des Staates, erstaunt über die großen Leistungen der Israelis beim Aufbau des Staates, enttäuscht, wie Likud-Regierungen so viel verspielt haben. Aber auch: die Lage Israels umgeben von mehr oder weniger radikalen Feinden ist jetzt ungemein schwierig.
FISCHER Sie treffen den Punkt. Die Israelis sind der Ansicht, die Palästinenser behandeln sich untereinander um vieles schlimmer, als sie das tun. Sie gehen lieber zu einem israelischen Gericht, wenn sie eine Appellation haben, als zu einem palästinensischen Gericht. Man will als Palästinenser auch nicht in eine palästinensische Haftzelle geraten, schon gar nicht, wenn man der falschen Seite angehört. Dennoch – ohne eine Zweistaatenlösung werden die Demokratie und der Rechtsstaat schweren Schaden nehmen.
STERN Aber, Joschka,
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