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Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition)

Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition)

Titel: Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joschka Fischer , Fritz Stern
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würden Sie bestreiten, dass viele in Israel die Palästinenser lieber weiter rauswerfen und den Staat bis zur Grenze am Jordan erweitern würden?
    FISCHER    Es gibt auf der israelischen Rechten sicher den Traum, eines Tages sind die alle in Jordanien, Jordanien wird der Palästinenserstaat. Diese Option ist aber seit den achtziger Jahren, als Jordanien die Westbank aufgegeben hat, eine pure Illusion. Aber genauso träumen einflussreiche Gruppen bei den Palästinensern, dass sie eines Tages die Israelis so weit haben, dass sie gehen. Sie kämpfen um ganz Palästina, auch um Jaffa und Haifa.
    STERN    Ja, aus Haifa rauswerfen.
    FISCHER    Ich glaube nicht, dass sie noch so irrealistisch sind und an ein Rauswerfen glauben. Israel ist militärisch einfach zu stark. Es geht eher um eine Abnutzungsstrategie mit dem Ziel, dass die Israelis irgendwann erschöpft die Segel streichen und gehen.
    STERN    Ja. Übrigens ist es nicht völlig irrelevant zu sagen, dass ein Teil der Elite von Israel jetzt schon auswandert oder zumindest einen zweiten Pass haben will, um jederzeit rauszukommen.
    FISCHER    Der Kern des Problems ist es, dass auf beiden Seiten relevante Gruppen den Frieden blockieren. Das muss keine Mehrheit sein; schauen Sie sich die Provisional IRA in Nordirland an, eine relativ kleine Gruppe, oder die ETA, eine noch kleinere Gruppe. Aber wenn die Ängste und Traumata einer Nation in einer solchen sehr aktiven Minderheit gleichsam fokussiert werden, dann kann das auch eine mehrheitsfähige Lösung zum Entgleisen bringen. Ich bin überzeugt, dass die Mehrheit der Israelis eine Zwei-Staaten-Lösung möchte, aber genauso fürchtet sich die Mehrheit der Israelis vor einer Wiederkehr des Terrors, den sie auf keinen Fall will.
    STERN    Das ist richtig. Und deshalb sollte man versuchen, die Israelis mit vernünftigen Argumenten zu unterstützen.
    FISCHER    Ich sehe im Moment, ehrlich gesagt, außer Management des Konflikts keine wirklich ernsthafte Option. Ich glaube, dass selbst eine linke, von Meretz gestellte Regierung in diesen Fragen, die wir gerade diskutieren, gar nicht sehr anders handeln könnte. Auf der anderen Seite sieht es genauso aus, und auf beiden Seiten heißt es, wir waren uns doch schon einmal so nahe, aber dann ging es nicht weiter. Je näher man sich kam, je mehr man den trennenden Graben verengte, desto mehr ging der Druck in die Tiefe, der Graben wurde immer schmaler und zugleich immer tiefer. Beide Seiten wissen heute doch ganz genau, wie ein Friedensvertrag aussehen müsste, damit er für beide Seiten in den Details noch akzeptabel wäre, aber die Kluft ist dennoch sehr tief. Letztendlich ist der Druck nur verformt worden.
    STERN    Mit Sadat hat es doch auch geklappt …
    FISCHER    Das war Staat gegen Staat. Israel hatte erstens keine wirklichen Gebietsansprüche an Ägypten und zweitens jedes Interesse daran, mit Ägypten einen Ausgleich zu finden. Von Ägypten ging die entscheidende strategische Bedrohung auf der staatlichen Ebene aus, und um diese Hauptbedrohung zu neutralisieren, war Israel zu vielem bereit. Sadat hat dafür allerdings mit seinem Leben bezahlt.
    STERN    Rabin später auch.
    FISCHER    Ja, das muss man ehrlicherweise sagen. Aber mit den Palästinensern ist die Lage halt völlig anders. Zwei Völker kämpfen um dieselben Quadratmeter Land, das zudem historisch und religiös symbolisch hoch aufgeladen ist. Und wie mein Freund Jossi Beilin, der für die Regierung Rabin in Oslo verhandelte, zu Recht sagte: Beide haben zu hundert Prozent Recht und zu hundert Prozent Unrecht, das macht die Tragödie aus. Keiner von beiden denkt im Moment daran, einen historischen Kompromiss anzustreben.
    STERN    Ich glaube, Sie haben mich vorhin etwas missverstanden in der Frage des deutschen Drucks auf Israel. Ich möchte dazu gern zwei Bemerkungen machen. Zum einen soll der nichtöffentliche Druck, so wie Sie ihn ausgeübt haben, aufrechterhalten werden, und zwar sowohl auf diplomatischem Weg als auch privat. Was Sie von Scharon berichtet haben, dass er sich an ein Ihnen gegebenes Wort immer gehalten hat, ist ermutigend. Zum anderen scheint klar, dass es im Augenblick keinen Zweck hat, bei den Israelis auf eine Zwei-Staaten-Politik zu drängen, da gebe ich Ihnen hundertprozentig Recht. Dennoch halte ich es für dringend geboten, den Israelis immer wieder zu sagen, dass sie weitere Verluste an Sympathie und Anteilnahme in Europa und auch in Deutschland

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