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Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition)

Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition)

Titel: Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joschka Fischer , Fritz Stern
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Situation für Israel seither dramatisch verändert. Seit einigen Jahren reden wir, wenn wir über Israel reden, nicht mehr über den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern, sondern über Israel als Teil eines gesamtregionalen Konflikts. Ich sehe das Problem in erster Linie aus der amerikanischen Perspektive. Natürlich gibt es verschiedene Israels, und leider ist das gute Israel, wenn ich so sagen darf, seit Rabins Ermordung 1995 auf dem Rückzug. Den wachsenden Einfluss des jetzigen Israels auf die amerikanische Politik sehe ich mit umso größerer Sorge. Man macht sich in Europa kaum eine Vorstellung, mit welch brutalen politischen Mitteln und mit wie viel Geld angebliche Freunde Israels versuchen, die amerikanische Politik zu beeinflussen. Die enge Verbindung zwischen dem Rechtsradikalismus in Amerika und der jetzigen israelischen Regierung von Netanjahu ist erschreckend. In Wirklichkeit sind die Neokonservativen nicht die Freunde, fürchte ich, sondern eher die Totengräber von Israel.
    FISCHER    Sie haben die Veränderungen in der gesamten Region angesprochen. Darauf will ich gern eingehen. Der Nahostkonflikt steht nicht mehr im Zentrum, sondern das Zentrum ist Richtung Persischen Golf gewandert. Heute überlagert der Hegemonialkonflikt mit dem Iran alles andere. Hinzu kam mit der Arabellion eine völlig neue Situation in wichtigen Anrainerstaaten des Mittelmeers. Daraus ergibt sich die Frage nach der Zuordnung des Nahostkonfliktes. Ich sehe nicht, dass es im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern, Israel und den Arabern, kurzfristig zu einer Lösung kommt.
    STERN    Sie wird immer unwahrscheinlicher.
    FISCHER    Ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass eine Zwei-Staaten-Lösung kaum noch möglich ist, wahrscheinlich ist sie schon gescheitert. Wenn eine Zwei-Staaten-Lösung nicht mehr möglich ist, bedeutet das letztendlich einen binationalen Staat Israel. Das habe ich, wie ich meine, schon Anfang der neunziger Jahre zu Netanjahu gesagt, als ich ihn zum ersten Mal traf – er war Oppositionsführer des Likud, ich war damals als Landesminister zum ersten Mal in Israel. Netanjahu sprach über Judäa und Samaria, also die Westbank, und meinte, das alles sei nicht rückgängig zu machen. Nachdem ich ihm länger zugehört hatte, habe ich zu ihm gesagt, Herr Abgeordneter, was ich gerade gehört habe, bedeutet, dass Sie einen binationalen Staat für Israel wollen. Das hat er zwar abgestritten, aber in der Konsequenz heißt es das. Ob ein binationaler Staat für Israel gut ist, das wage ich jedoch zu bezweifeln …
    STERN    Das ist bestimmt nicht gut für Israel.
    FISCHER    Man darf allerdings nicht nur die israelische Rechte verantwortlich machen, man muss auch die andere Seite sehen. Die israelische Linke ist ja nicht an ihrer eigenen Unfähigkeit gescheitert. Sondern sie hat gesagt, die Rechte hat eine klare Position, nämlich durch Gebietsgewinne die Sicherheit zu verbessern, historische Ansprüche durchzusetzen und ansonsten die Strategie des Iron Wall zu verfolgen, wie es Jabotinsky, der Führer der zionistischen Revisionisten, lange vor der Staatsgründung formuliert hat. Die israelische Linke hat gesagt, nein, wir werden mit den Palästinensern verhandeln, und dann werden wir uns einigen. Es hat die israelische Linke zerstört, dass es dazu nicht gekommen ist. Man muss also auch den palästinensischen Anteil an dieser tragischen Geschichte sehen. Faktisch hat die israelische Linke mit dem Scheitern der Verhandlungsstrategie keine Alternative mehr zur Rechten, und das macht sie so schwach.
    STERN    Das ist ganz richtig. Ich habe mich mit den frühen Kämpfen innerhalb des Zionismus beschäftigt. Da gab es den erbitterten Kampf zwischen dem anglophilen Chaim Weizmann und den Revisionisten und den schon damals existierenden Terroristen um Jabotinsky.
    FISCHER    Jedes Mal, wenn die israelische Linke, ob unter Rabin oder später unter Peres oder Barak, versucht hat, einen Schritt in Richtung Palästinenser zu machen, sind sie letztendlich am Terror gescheitert. Es war ja einfach, israelische Wahlergebnisse zu beeinflussen, denn auf eine Bombe in einem Busbahnhof oder in einem Bus reagierte die israelische Öffentlichkeit so, wie es absehbar war, indem sie weiter nach rechts rückte. Das darf man bei der ganzen Sache nicht vergessen.
    STERN    Völlig richtig. Trotzdem ist es besser, Gesprächsbereitschaft zu signalisieren und Gespräche nicht in geradezu

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