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Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition)

Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition)

Titel: Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joschka Fischer , Fritz Stern
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riskieren und dass ihnen das schadet.
    FISCHER    Dazu zwei Antworten. Erstens ist mein Eindruck, dass die Kanzlerin genau das getan hat …
    STERN    Erfolglos. Aber nicht ihre Schuld.
    FISCHER    Ja sicher, Erfolg ist nie garantiert. Und meine zweite Antwort ist eine rhetorische Frage: Was tun eigentlich die Amerikaner?
    STERN    Für die Amerikaner ist das Israel-Problem noch schlimmer, noch schwieriger wegen der Innenpolitik. Die Obama-Opposition wird jede falsche Bewegung sofort ausnutzen.
    FISCHER    Meine Rede, Fritz: Es ist die Innenpolitik.
    STERN    Aber natürlich ist Ihre Frage völlig berechtigt, und ich fürchte, ich kann Ihnen nur antworten, die Amerikaner tun wenig.
    FISCHER    Nun, sie mögen sich nicht besonders, Obama und Netanjahu.
    STERN    Das ist gar keine Frage. Wie sich Netanjahu in New York gegenüber dem amerikanischen Präsidenten benommen hat, ist meines Erachtens unverzeihlich. Und wie er sich in den letzten Wochen in den amerikanischen Wahlkampf eingemischt hat, ist schamlos.
    FISCHER    Das entscheidende Versäumnis liegt meiner Meinung nach gut zehn Jahre zurück. George W. Bush hat nach dem 11. September eine riesige Chance im Nahostkonflikt vertan. Er hätte Scharon und Arafat nach Washington einladen sollen ins Weiße Haus – ohne Berater – und hätte denen sagen sollen, hört zu, entweder einigt ihr euch jetzt, oder ich erzwinge eine Einigung. Denn ab sofort geht es nicht mehr nur um euch beide, um Israel und Palästina, sondern um die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten von Amerika. Und was ich jetzt erwarte, ist, dass wir gemeinsam eine Lösung finden, damit wir Amerikaner uns anschließend auf das Wesentliche konzentrieren können, nämlich auf die Abwehr des terroristischen Radikalismus, der für den 11. September verantwortlich ist.
    STERN    Bush wollte das nicht. Wahrscheinlich fehlten ihm die nötigen Instinkte. Ich glaube, Sie überschätzen seine außenpolitischen Kompetenzen.
    FISCHER    Vermutlich. Aber das war eines dieser historischen Fenster, wo übergeordnete Interessen der globalen Supermacht USA mit völlig legitimen, nicht an den Haaren herbeigezogenen Gründen hätten durchgesetzt werden können. Völlig legitim, das hätte den Unterschied gemacht zu dem, was stattdessen kam. Eine Einigung im Nahostkonflikt hätte Auswirkungen gehabt auf den gesamten Nahen Osten. An Bushs Stelle hätte ich gesagt: Amerika steht für Demokratie und die legitimen Rechte aller Völker im Nahen Osten, das haben wir bewiesen durch die Lösung des Nahostkonflikts. Dann wäre ihm Saddam wie eine reife Frucht von selbst eines frühen Tages in den Schoß gefallen. Aber offenbar konnte sich niemand in Washington eine kluge amerikanische Strategie vorstellen, die die gesamte Region verändert hätte. Die Lösung des Nahostkonflikts war der Schlüssel. Und der amerikanische Präsident wäre in der damaligen Situation innen- wie außenpolitisch politisch in einer so starken Position gewesen, dass er sich davor hätte nicht fürchten müssen, das ist meine Meinung.
    STERN    Es war ihm fremd, so etwas zu machen. Innenpolitisch war es enorm schwierig. Außerdem braucht man dazu eine gewisse Vorstellungskraft, und unter seinen Beratern war, vorsichtig ausgedrückt, keiner, der ihn in dieser Richtung ermutigt hätte.
    FISCHER    Die konnte man vergessen.
    STERN    Und ob!
    FISCHER    Wenn ich mir in meinem Terminkalender die ersten Tage nach dem 11. September anschaue, ist klar, dass der Nahostkonflikt für mich von Anfang an die zentrale Rolle spielte. Mit Arafat, mit Peres, mit Scharon, mit Nabil Schaath, dem palästinensischen Minister, mit Jossi Beilin, ich weiß nicht, mit wem alles ich damals telefoniert habe, um sie davon zu überzeugen, dass das jetzt die Chance zur Lösung ist. Aber bei den Amerikanern, da hätte ich auch die Wand ansprechen können.
    STERN    Für die Amerikaner war al-Qaida für den 11. September verantwortlich, und dieses Problem hatte mit Israel und den Palästinensern nichts zu tun.
    FISCHER    Richtig. Al-Qaida hatte mit dem Nahostkonflikt wirklich nichts zu tun, das war eher ein saudischer Revolutionsexport.
    STERN    Al-Qaida war die Gegnerschaft gegen die Säkularisierung. – Trotzdem wurde damals eine große Chance vertan, da stimme ich vollkommen mit Ihnen überein. Denn auch wenn der 11. September und der Nahostkonflikt ursächlich nichts miteinander zu tun hatten, hat sich die

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