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Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition)

Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition)

Titel: Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joschka Fischer , Fritz Stern
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demonstrativer Weise auszuschließen. Das tut Netanjahu.
    FISCHER    Als Netanjahu zum zweiten Mal gewählt wurde, war mir klar, dass für ihn die Koalition Priorität haben wird und nicht der Friedensprozess. Seine erste Amtszeit als Premierminister ist gescheitert – das vergessen die meisten –, weil er 1998 durch die direkten Verhandlungen in Wye River Plantation, Maryland, einen Vertrag mit den Palästinensern geschlossen hat. Das hat Scharon damals genutzt, um ihm zuerst den Parteivorsitz im Likud und dann auch das Amt des Premierministers zu nehmen. Aus meiner Sicht war deshalb klar, dass Netanjahu beim zweiten Mal denselben «Fehler» unter keinen Umständen wiederholen wird.
    STERN    Durch den Koalitionsbeitritt von Kadima hat er eigentlich eine große Koalition, jedenfalls ist er in einer komfortableren Situation als in einer Koalition mit den Ultrarechten. Aber auch diese Koalition ist inzwischen gescheitert.
    FISCHER    Jedenfalls wird er keine ernsthaften Verhandlungen mit den Palästinensern beginnen. Dazu ist auch die Situation auf der anderen Seite im Moment viel zu unsicher. Die Palästinenser befinden sich in einem kalten Bürgerkrieg, gespalten zwischen Hamas und Fatah. Die Hamas steht unter dem Druck, vom bewaffneten Kampf weg und hin zu einer gewaltfreien Politik zu kommen, weil die Wahlerfolge der Muslimbrüder in Ägypten und Tunesien eine solche Strategie nahelegen. Im Übrigen wird die Hamas, wenn sie weiter auf den Iran setzt, große Probleme bekommen; sie muss wieder in die sunnitische Mehrheit zurückfinden. All das zeigt, dass die Arabellion für Hamas alles andere als einfach ist. Die Fatah hat ein Riesenproblem mit Korruption, ihre Vertreter wirken abgehoben, nicht wirklich verankert in der Bevölkerung, gehören zum untergehenden Lager der arabischen Nationalisten. Die Faktoren in diesem Konflikt sind also gegenwärtig sehr statisch: Israel wird sich nicht wirklich bewegen, die beiden Palästinenserseiten sind mit sich beschäftigt, und viel Druck aus Amerika wird auch nicht kommen.
    STERN    Kann nicht kommen, auch wegen des Drucks innerhalb Amerikas.
    FISCHER    Also, Fritz, die These, dass die Demokraten groß Rücksicht nehmen müssten auf AIPAC (American Israel Public Affairs Committee), die teile ich nicht. Die Mehrheit, ich glaube, 70 oder 80 Prozent der jüdischen Wählerschaft, wählt demokratisch. Und zwar nicht wegen der Israel-Politik der Demokraten, sondern weil ihre ganze Wahlorientierung seit Generationen überwiegend liberal ist. Und daran wird auch AIPAC nichts ändern. Aber natürlich verfügen die großen jüdischen Organisationen in Washington über einen erheblichen Einfluss.
    STERN    Und zwar einen sehr fatalen Einfluss. Ich glaube nicht, dass es noch eine so eindeutig liberale Orientierung bei den jüdischen Wählern in Amerika gibt. Und es gibt natürlich die Multimillionäre wie Adelson und die Koch-Brüder, die enorme Summen gegen Obama reinwerfen. Was Geld im amerikanischen Wahlkampf anlangt, ist der jüdische Einfluss freilich nur ein Faktor in einer unheilvollen Geschichte.
    FISCHER    Jein. Man muss in Rechnung stellen, dass hinter allem nicht nur eine tiefe Sorge um die Zukunft Israels steckt, sondern auch das Trauma der vierziger Jahre. Die Repräsentanten der großen jüdischen Verbände, die von der Shoa wussten, haben vom Präsidenten verlangt, dass die Züge in die Vernichtungslager bombardiert werden. Die offizielle Position des Weißen Hauses war, das Beste, was wir tun können, ist, den Krieg so schnell wie möglich zu beenden, und das Hinterland im Osten ist nicht von kriegsstrategischer Bedeutung. Dieses Trauma, so ist mein Eindruck aus Diskussionen mit führenden Repräsentanten großer amerikanischer jüdischer Organisationen, sitzt sehr, sehr tief. Und da beginnt dann der Streit, was heute das Richtige ist.
    STERN    Da muss ich, glaube ich, eine Kleinigkeit korrigieren, denn das Trauma sitzt eigentlich viel tiefer. Die großen jüdischen Organisationen haben nämlich erst einmal gar nicht an die Shoah geglaubt, als sie die ersten Nachrichten erhielten. Dann haben sie wenig unternommen und waren sehr zögernd. Den Druck, die Züge zu bombardieren, gab es erst relativ spät. Die Passivität von damals, die in gewisser Weise sogar verständlich war, wird von den jüdischen Organisationen in Amerika heute also eher als eine schwere Hypothek gesehen.
    FISCHER    Da sind wir gar nicht auseinander. Denn unter dem

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