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Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition)

Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition)

Titel: Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joschka Fischer , Fritz Stern
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Strich heißt das für die jüdischen Organisationen in Amerika: In eine solche Situation der Schwäche, wenn es um Israel geht, wollen wir nie wieder kommen.
    STERN    Okay. In dem, was Sie über den gegenwärtigen Zustand des Nahostkonflikts gesagt haben, pflichte ich Ihnen im Prinzip bei. Die Gefahr, auf die ich noch einmal hinweisen möchte, ist die, dass Israel durch seine Siedlungspolitik die Sache täglich schlimmer macht und dadurch auch seine eigene Demokratie gefährdet. Gegen eine Siedlungspolitik, die durch entsprechende Gesetzesänderungen forciert wird, sind auch die Gerichte machtlos, und das führt dazu, dass die Demokratie in Israel schrittweise unterhöhlt wird. Leider ist die Zustimmung zu Methoden, die weder legal noch human sind, innerhalb Israels anscheinend sehr groß. Das ist bedrückend.
    FISCHER    Ja, ich glaube, die Siedlungspolitik ist ein ganz großer Fehler und erschüttert die Legitimation von Israel auch international. Die internationalen Bedingungen verändern sich ja nicht zu Gunsten Israels. Wenn wir über die globalen Veränderungen sprechen, sehen wir eher eine relative Schwächung der USA im Verhältnis zu aufsteigenden neuen Mächten, die über eine andere Interessenlage und andere Bindungen verfügen und daher auch eine andere Politik verfolgen werden. Aus meiner Sicht wäre es daher das oberste Interesse Israels, möglichst schnell zu festen Grenzen zu kommen, und das heißt, zu klären, wo endet Israel und wo beginnt Palästina, wo beginnen die anderen Nachbarstaaten.
    STERN    Mit jedem Tag, an dem sich in dieser Frage nichts tut, wird die Lage in Israel schlimmer. Ich frage mich manchmal, ob das, was da durch die Siedlungspolitik an Fakten geschaffen wurde, überhaupt noch reversibel ist. Sie sagten ja eben selber, dass die Zwei-Staaten-Lösung möglicherweise schon gescheitert ist.
    FISCHER    Es wird immer unwahrscheinlicher, das ist der Punkt.
    STERN    Sie haben Recht, dass man auf die Araber einwirken muss, aber diejenigen, die im Augenblick die Lage verschlimmern, sind diejenigen, die die Siedler zu immer neuen Projekten ermutigen.
    FISCHER    Wie gesagt, Fritz, ich kenne einfach beide Seiten zu gut, und ich sehe keine Friedensbereitschaft auf beiden Seiten. Das ist der eigentliche Punkt. Ich kann mich nur wiederholen: Beide Seiten wissen, wie ein Frieden aussieht, die Experten können ein solches Papier innerhalb von 24 Stunden produzieren, aber auf beiden Seiten gibt es die Bereitschaft nicht.
    STERN    Aber ich rede hier vom Status quo, so wie er jetzt existiert. Und der wird immer weiter unterminiert, indem brutale Veränderungen durchgeführt werden, die außerdem noch die eigene Demokratie gefährden.
    FISCHER    Wenn Israel am Status quo festhält, was es tut, ist das Risiko, dass die Legitimationsgrundlagen und damit auch die Machtgrundlagen erodieren, sehr, sehr groß. Das macht auch den tiefen Pessimismus vieler meiner jüdischen Freunde aus, die das ähnlich sehen. Wir haben in dieser Diskussion viel «hätte», «würde», «könnte». Aber Eines ist auch klar: Mit einem Staat Israel hätte es die Shoah in dieser Form und in diesem Ausmaß nicht gegeben. Wenn es Israel schon gegeben hätte in der ersten Hälfte der vierziger Jahre, wäre die europäische Judenheit nicht in dieser tragischen Einsamkeit ihren Mördern ausgeliefert worden, wie das der Fall war. Ich glaube, dass ein Staat Israel, der eine solche Bedrohung auf eine große jüdische Minderheit hätte zukommen sehen, alles in Bewegung gesetzt hätte …
    STERN    Das ist nun wirklich hypothetisch. Ich kann Ihnen auch Stimmen zitieren aus dem damaligen Mandatsgebiet Palästina, die gesagt haben, wenn die Juden nicht nach Palästina kommen, dann ist es uns egal, was in Europa mit ihnen passiert.
    FISCHER    Lassen Sie uns über die dynamischen Faktoren reden, darüber, wie wieder Bewegung in diese Sache kommen kann. Was ich im Nahostkonflikt gelernt habe, ist, dass du nie weißt, was hinter der nächsten Ecke kommt. Da kann ein Krieg lauern oder eine ernsthafte Friedensinitiative. Also es ist ein unheiliges Heiliges Land, in dem immer alles möglich ist. Die dynamischen Faktoren im Moment liegen in der arabischen Veränderung. Wie auch immer dieser historische Prozess ausgehen wird, eines kann bereits heute festgestellt werden: Der Geist der Arabellion ist nicht mehr in die Flasche zurückzubringen, und selbst wenn es autoritäre oder semiautoritäre Regime geben

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