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Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition)

Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition)

Titel: Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joschka Fischer , Fritz Stern
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ist alles Spekulation, die ich gar nicht weiter ausmalen möchte. Ich will nur festhalten, dass ich bezweifle, dass es eine ernsthafte militärische Option gibt. Insofern ist das, was die Mächte gegenwärtig tun, sehr vernünftig. Die Sanktionen, vor allen Dingen die Maßnahmen, die dazu dienen, den Iran von den internationalen Zahlungsmechanismen zu isolieren, sind sehr wirksam. Allerdings reichen diese Sanktionen nicht aus, wenn die Führung entschlossen ist, die Nuklearwaffe zu entwickeln, sie tatsächlich daran zu hindern.
    STERN    Der ehemalige Chef des Mossad und der ehemalige Chef des Shin Beth sind beide gegen eine Militäraktion.
    FISCHER    Und das wiegt schwer, weil die beiden sich genau auskennen. Auf der anderen Seite werden Netanjahu und Barak sicher nicht die beiden sein wollen, von denen es am Ende heißt, dass sie nichts gemacht haben und dass sie schuldig sind vor der Geschichte Israels und des jüdischen Volkes. Die werden nicht da sitzen und nichts tun.
    STERN    Aber ist es eine einseitige israelische Entscheidung?
    FISCHER    Da kann ich nur spekulieren. Ich kann mir eigentlich nur schwer vorstellen, dass die Israelis ohne amerikanische Rückversicherung handeln werden und können.
    STERN    Da stimme ich Ihnen zu. Und ich glaube nicht, dass es zu einer amerikanischen Deckung unter dem jetzigen Präsidenten kommt. – Das bringt mich zu einer Frage, die ich längst loswerden wollte und die an den Anfang unseres Gesprächs über Israel zurückführt. Im Sommer 2000 wäre niemand auf die Idee gekommen, sich in die Verhandlungen zwischen Palästinensern und Israelis einzumischen, das war bei Clinton in Camp David sozusagen in guten Händen. Nur drei Jahre später starten dann unter Ihrer Führung die Europäer eine Initiative. Sie fliegen nach Teheran …
    FISCHER    Auf die Idee käme heute niemand mehr, so etwas mit der Bundesregierung zu machen.
    STERN    Und plötzlich steht der deutsche Außenminister im Nahen Osten im Mittelpunkt von Friedensgesprächen. Manche sahen das damals kritisch: Was hat denn der Fischer jetzt da unten verloren, da kann er sich doch nur die Finger verbrennen als Deutscher.
    FISCHER    Überhaupt nicht. Dahinter stand eine sehr rationale Überlegung: Wir wollten nicht noch einmal in eine Situation wie im Irak laufen. Deshalb haben wir gemeinsam mit den Briten und Franzosen gesagt, lasst uns mal explorieren, ob es Sinn machen könnte, mit den Iranern zu verhandeln, und dabei stellten wir fest, dass es eine iranische Bereitschaft gab, einen Verhandlungsprozess zu organisieren.
    STERN    Darauf wollte ich hinaus: Wenn schon die Amerikaner nichts tun und die Israelis nichts tun – in beiden Fällen liegt es an der Innenpolitik, wie wir festgestellt haben –, dann müssten eigentlich dank ihrer guten Beziehungen nach beiden Seiten die Deutschen und ihre europäischen Freunde noch einmal aktiv werden. Das ist, was ich vermisse.
    FISCHER    Die damalige Regierung Schröder hat eine ambitionierte Außenpolitik betrieben, und wir waren bereit, uns im Kreis unserer Bündnispartner zu engagieren. Wir galten – und gelten noch immer, nach den USA – als engster Verbündeter Israels in der Welt, und wir hatten damals unsere beiden wichtigsten europäischen Partner an unserer Seite, Großbritannien und Frankreich. Ganz klar, ich würde es heute noch mal so machen.
    STERN    Ja, aber davon sind wir heute weit entfernt.
    FISCHER    Aber das liegt ausschließlich an uns selbst, an den Deutschen. Die Libyenentscheidung war eine fatale Fehlentscheidung, das muss man einfach sehen. Es hat doch da niemand von Deutschland Großes erwartet; wir waren im Rahmen einer NATO-Mission sogar präsent vor Ort mit Schiffen, da hätte man sagen können, okay, das ist unser Beitrag. Stattdessen eine so fatale Fehlentscheidung. Heute wundert man sich ja fast schon, dass die Deutschen bei den Fünf-plus-eins-Gesprächen mit dabei sind – warum die Deutschen, fragen viele, keiner versteht es mehr.
    STERN    Ja, eine Fehlentscheidung, aus der man hätte lernen können. Das Beispiel Syrien ist aber alles andere als ermutigend.
    FISCHER    Syrien ist Teil der Gleichung, weil dort die Türkei als direkter Nachbar betroffen ist. Die Türkei ist die einzige Macht, die etwas machen kann, wenn man in Richtung militärischer Intervention denkt. Und die auch etwas machen muss, wenn es zu einer nachhaltigen Destabilisierung der Sicherheitslage für die Türkei kommt.

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