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Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition)

Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition)

Titel: Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joschka Fischer , Fritz Stern
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Amerika jetzt mit Obama tun –, das hat eine neue Qualität. Und das verbunden mit einem fundamentalistischen Christentum – das sind Zusammenhänge, die in Europa überhaupt nicht gesehen werden. Und deshalb würde ich darüber gern noch ein bisschen mit Ihnen reden.
    FISCHER    Also, Fritz, dann fange ich mal ganz fundamental an. Asien ist der Kontinent der Spiritualität, Europa der Kontinent der Geschichte und Amerika der Kontinent des Marktes. Ich rede hier selbstverständlich von Nordamerika. Dieser Markt ist so groß, dass er die übrige Welt nicht nötig hat, und das ist wiederum die Grundlage des amerikanischen Isolationismus. Ich möchte meine Geschäfte machen und mich um mich selbst kümmern; ich bin in Amerika, weil ich mit dem Rest der Welt eigentlich nichts zu tun haben will.
    STERN    Also das ist, glaube ich, etwas zu einfach. Spätestens seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges richten sich die amerikanischen Business-Interessen auch auf andere Kontinente, zunächst auf Europa und jetzt verstärkt auf Asien. Der Rückzug auf eine isolationistische Politik würde da sehr schwierig werden. Aber noch einmal: In Amerika ist viel Reichtum in Händen von Leuten, die diesen Reichtum benutzen, um direkt in die Politik einzugreifen, und das gab es in dieser Form bisher nicht.
    FISCHER    Sie denken an Leute wie die Koch Brothers?
    STERN    Zum Beispiel. Aber auch an Sheldon Adelson, den Casinotycoon aus Las Vegas, und vor allem an die sogenannten Super-PACs, die mit der fatalen Entscheidung des Supreme Court, dass Unternehmen ihr Geld genau so für politische Zwecke einsetzen dürfen wie Einzelpersonen, ihren politischen Einfluss enorm ausweiten können.
    FISCHER    Die Koch Brothers machen ihr Investment vorwiegend im Energiebereich und mit Rohstoffen, sind massiv gegen jegliche Form von Energiesteuern und Umweltgesetzgebung. Sie kämpfen für drastische Steuersenkungen und tun sich, um ihre Interessen durchzusetzen, mit den Evangelikalen zusammen.
    STERN    Mit ihrer fast demonstrativen Abwendung vom Staat stellen sie alles in Frage, was in Amerika durch den Staat aufgebaut wurde und noch immer vom Staat unterhalten wird.
    FISCHER    Man darf nicht vergessen, Amerika ist ein Sozialstaat, auch wenn der Amerikaner …
    STERN    Auch wenn der Amerikaner ihn nicht will. Bei den Republikanern ist der Sozialstaat, wie er in Europa besteht, geradezu verpönt – und natürlich völlig verkannt.
    FISCHER    Trotzdem. Aus der Sicht eines Alteuropäers hat diese Form des amerikanischen Selbstbewusstseins auch etwas Faszinierendes. Ich erinnere mich an eine Diskussion mit republikanischen Business-Vertretern, und einer von denen hat mir das genau erklärt. Demnach überlässt Amerika die Fabrikation und Produktion China und anderen Schwellenländern und schafft sein eigenes Zentrum in der verteidigungsrelevanten Industrie, ansonsten konzentriert man sich auf die Software-Produktion inklusive Hollywood und auf die Finanzindustrie mit der globalen Finanzzentrale New York. Die USA haben nach wie vor gewaltige und teilweise sehr gute Produktionskapazitäten, aber anders als wir hier in Kontinentaleuropa versuchen sie gar nicht, Industriearbeitsplätze um jeden Preis zu halten, sondern setzen weitgehend auf Export von Industriearbeitsplätzen und konzentrieren sich stattdessen auf Silicon Valley und die Finanzen. Im Gefolge der Finanzkrise scheint sich diese Haltung jetzt wieder in Richtung Reindustrialisierung zu ändern, angetrieben von den großen nichtkonventionellen Energiereserven der USA, die mehr und mehr erschlossen werden.
    STERN    Die ganze Sache hat aber auch etwas Utopisches. Die Tea Party spielt ja gern mit Erinnerungen an die Zeit der amerikanischen Revolution; aber der Glaube, dass man zurück könnte, von einem hochindustrialisierten Land mit Forschung und Wissenschaft zu einem Staat, der eine zweihundertjährige Entwicklung rückgängig macht und den Rest privatisiert, dieser Glaube ist ein gefährlicher Anachronismus.
    FISCHER    Lassen Sie mich unser Thema mal von einer anderen Seite angehen. Wir haben ausführlich über die historischen Bestimmungsfaktoren der frühen Bundesrepublik gesprochen und waren gemeinsam der Überzeugung, dass der Umgang mit dem historischen Erbe bestimmend war für das Entstehen des neuen Gemeinwesens. Heute würde diese Gründungsgeschichte anders verlaufen, heute ist es die Ökonomie und nicht mehr die Geschichte, die Ideologie produziert.

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