Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition)
übrigens vor den Engländern und Franzosen –, und auch erkannt hatte, dass da für Amerika eine Gefahr bestand. Aus diesem visionären Geist wurde dann nach 1945 eine neue Weltordnung geschaffen, und das war eine wirklich erstaunliche Leistung für ein Volk, das bis dahin mit der internationalen Politik eigentlich sehr wenig zu tun hatte. Amerika muss bei dieser Linie bleiben, die jetzt seit mehr als sechzig Jahren erfolgreich ist, und sich weiterhin engagieren. Aber bei einem republikanischen Sieg und einem weiteren Vordringen der Ideologie der Tea Party könnte es zu einem neuen Isolationismus kommen, und das wäre eine große Gefahr für die Amerikaner selbst, aber auch für die Europäer.
FISCHER Man muss auch sehen, dass die Ära George W. Bush verheerend war, nicht zuletzt in ihrer Außenwirkung. Amerika hat, wie wir jetzt im Rückblick sehen, seine Macht vergeudet im Irak, richtiggehend vergeudet.
STERN Wem sagen Sie das? Der Schaden, den Bush und seine Leute angerichtet haben, war und ist verheerend. Auch das Prestige Amerikas hat enorm gelitten unter seiner verfehlten Politik.
FISCHER Das gehört für mich zusammen. Ich habe mich immer gewundert, wie man drei Kriege führen kann – Afghanistan, Irak und den War against Terrorism – und gleichzeitig die Steuern senkt. Normalerweise, wenn man in einen ernst gemeinten Krieg geht, senkt man nicht die Steuern, sondern macht genau das Gegenteil. Das ist ein nicht unerheblicher Faktor der aktuellen budgetären Belastungen der USA. Hinzu kommt ein sozialer Faktor, der innenpolitisch von erheblicher Bedeutung ist. Die amerikanische Armee ist eine Berufsarmee, die starke Wurzeln im Heartland der USA hat, in der Provinz, außerdem wurde die Nationalgarde eingesetzt. Die Frustration, die Bushs Kriege in den entsprechenden regionalen und sozialen Milieus ausgelöst haben, würde ich, bei allem Patriotismus, den diese Milieus tragen, für nicht gering veranschlagen. Wenn man finanzielle Beschränkungen, Frustration der tragenden Milieus und das Vergeuden von Macht und Prestige plus Tea-Party-Isolationismus zusammennimmt, dann wird jeder Präsident, der die Absicht hat, irgendwo einzugreifen, zukünftig ziemlich limitiert sein. Ich würde jeden Betrag darauf wetten, dass zum Beispiel in der Führung des Iran darüber diskutiert wird, ob die USA aufgrund dieser Limitierung zu einem Eingreifen überhaupt in der Lage sind. Und allein die Tatsache, dass solche Debatten stattfinden – man kann fest davon ausgehen, dass sie stattfinden – begrenzt natürlich die Möglichkeiten, nicht nur der USA, sondern des Westens insgesamt. Dennoch wäre es, wie ich glaube, objektiv relativ einfach, die USA zu sanieren.
STERN Ja. Und es ist sogar reizvoll. In der Clinton-Ära wurde es ja schon mal vorgemacht.
FISCHER Clinton haben sie gehasst, den wollten sie unbedingt aus dem Amt treiben, nichts wäre für sie schöner gewesen, als wenn sie das geschafft hätten. Aber ich wette, Clinton hätte nie eine Birther-Debatte an den Hals bekommen, ob er Amerikaner ist. Das wäre undenkbar gewesen.
STERN Bei allem, was die Bürgerrechtsbewegung an Fortschritt gebracht hat: Das Ressentiment ist geblieben, das Ressentiment der älteren weißen Männer.
FISCHER Vielleicht sehe ich es zu sehr von außen, aus europäischer Perspektive, aber je länger ich Amerika beobachte, desto mehr entdecke ich da einen sehr dynamischen und in seiner Dynamik sehr hässlichen Faktor, der im Bürgerkrieg auf dramatische Weise zum Ausdruck gekommen ist, nämlich dass das Land einen Teil seiner Dynamik dem Unfrieden mit sich selbst verdankt, dass es ein paar Dinge gibt, die das Land grundlegend und dauerhaft spalten.
STERN Ja. Konkret in der Kulturpolitik, auch in der Sozialpolitik.
FISCHER Vom ersten Augenblick des Entstehens der USA an gab es so etwas wie einen tief greifenden Kulturdissens. Ich erinnere nur an die Peculiar Institution, die «besondere Einrichtung» der Sklaverei. Und ich werde den Eindruck nicht los, als ob es da ein Element in den USA gäbe, das sich noch immer an der Rassismusfrage festmacht.
STERN Aber jetzt nicht nur an der Frage der Schwarzen?
FISCHER Nein, breiter.
STERN Viel breiter. Es läuft beinah auf Kulturkampf hinaus. Ob Sie die Kreationisten nehmen, die die Evolution ablehnen, weil sie überzeugt sind, dass der liebe Gott die Welt in sechs Tagen geschaffen hat, ob Sie den erbitterten Streit um die
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