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Gegen jede Regel

Gegen jede Regel

Titel: Gegen jede Regel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Stammsen
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E-Mails zu studieren. Das Erste, was Nina sagte, als sie den Ordner auf
ihrem Stick öffnete, war: »Der Grams ist ein sehr aktiver Spieler.«

    Das war er in der Tat, denn der Stapel mit den Ausdrucken
seiner E-Mails war erheblich höher als der von Tobias. Und den hatte ich schon
für umtriebig gehalten. Anders als bei Tobias bekamen wir durch Grams’ E-Mails
einen Einblick in das gesamte Spielgeschehen. Er hatte von Beginn an eine
umfangreiche Korrespondenz mit allen anderen Spielern geführt, auch mit
Frankreich, Deutschland und sogar England, das ja wirklich am anderen Ende des
Kontinents lag.

    Â»Das hat eine Menge Zeit gekostet«, meinte ich.

    Â»Er musste ja auch nicht drei virtuelle und vier echte Beziehungen
pflegen.«

    Â»Und keine neuen Heavy-Metal-Meisterwerke komponieren.«

    Auf den ersten Blick studierten Nina und ich die Aktionen
eines verzweifelten und vereinsamten Mannes, der kein anderes Hobby mehr hatte.
Aber bei näherer Betrachtung hatte es durchaus Sinn: Es ging um die Deutsche
Meisterschaft. Und wenn man es genau nahm, hatte Elias Grams auch mit
Frankreich, Deutschland und England jeweils mindestens einen gemeinsamen
Nachbarn, über den man sich austauschen konnte. Und wenn man später einen von
denen gemeinsam in die Zange nehmen wollte, konnte man das gar nicht früh genug
einfädeln.

    Diese Strategie des frühzeitigen Bündnisaufbaus hatte
Grams konsequent betrieben. Er hatte nicht nur nette, freundliche und
unverfängliche Botschaften geschickt. Er hatte nicht nur Informationen über
seine unmittelbaren Nachbarn weitergeleitet, wenn es ihm opportun erschien. Er
hatte auch schon grobe Strategien für Europas Zukunft entworfen, die weit über
das gegenwärtige Stadium des Spiels hinausreichten.

    Frankreich schrieb er, es läge in beiderseitigem Interesse,
wenn man die italienische Seemacht im Auge behielte. England versprach er, die
russischen Pläne zu verraten, wenn er sie erführe. Mit Deutschland plante er
bereits eine Aufteilung Österreichs, noch bevor überhaupt der erste Befehl
gegeben worden war. Grams hatte das große Ganze im Blick und ging strategisch vor.

    Aber je mehr E-Mails ich las, umso klarer wurde mir sein
Problem. So logisch und raffiniert seine Strategien auch waren, ihm fehlte im
Umgang mit den anderen und erst recht in den Verhandlungen die entscheidende
Beweglichkeit. Wenn ihm jemand einen anderen Vorschlag machte, wurde er rasch
belehrend; wenn der andere nicht einsichtig war, wurde er aggressiv und drohte.
Auch das mochte Taktik sein und zum Spiel gehören. Es mochte aber auch der
Grund dafür sein, dass Grams bereits nach zwei Runden am Abgrund stand.

    Die E-Mails bestätigten Grams’ Aussagen. Auch für seine
Einschätzung, Deutschland und Österreich würden ihm nun helfen, hatte er
ermutigende E-Mails erhalten. Diese mochten wahrhaftig sein oder auch nicht.

    Â»Was meinst du?«, fragte ich Nina. »Wird er Hilfe bekommen?«

    Sie zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung. Was ist schon sicher
bei diesem Spiel? Ich finde eigentlich Ralfs Einschätzung ganz logisch.«

    Klar, denn die beruhte ja auch ausschließlich auf dem aktuellen
Spielstand, den man auf der Karte ablesen konnte. Alles andere war tatsächlich
ungewiss. »Wir wissen, dass der Österreich-Spieler geschrieben hat, er würde
Russland angreifen«, sagte ich.

    Â»Stimmt, das wissen wir. Aber was wirklich passiert, ist
damit nicht gesagt.«

    Â»Mir ist aufgefallen, dass Grams sehr viele E-Mails mit
England, Deutschland und Frankreich geschrieben hat, obwohl das nicht seine Nachbarn
sind.«

    Â»Ja, das hat mich auch gewundert.«

    Â»Aber trotzdem hat er nicht erfahren, dass sich Deutschland
und Frankreich verbündet haben, um England anzugreifen.«

    Nina schaute auf. »Richtig. Keiner der beiden hat ihn ins
Vertrauen gezogen.«

    Â»Ich finde ihn auch nicht so angenehm wie Tobias. Ich
meine, es macht nur Spaß, mit ihm zu schreiben, solange man ihm bedingungslos zustimmt.«

    Â»Ja, er ist ein wenig starr. Fast rigide. Das macht wahrscheinlich
auch den Unterschied aus. Wenn du die Wahl hast zwischen zwei Partnern und der
eine ist angenehm, der andere starr und rigide …«

    Â»â€¦ dann wird die Türkei besiegt.«

    Nina lachte und das war noch angenehmer als die E-Mails
von Tobias. »Genau.«

    Ich schaute auf die Uhr. »Wie machen wir jetzt

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