Gegen jede Regel
sagte Reinhold wenig überraschend.
»Egon und Marla verfolgen die Spur der Lehrerin und der anderen beiden Frauen.
Das ganze persönliche Umfeld. Vielleicht ergibt sich noch eine neue Spur. Und
Markus und Nina machen weiter bei dem Spiel.«
Ich sagte: »Heute Abend wird der nächste Spielzug ausgewertet.
Danach entscheiden wir, wen wir als Nächstes befragen, gleich morgen früh.«
»In Ordnung.«
»Wir schauen uns noch einmal alle Daten von Elisabeth
Veen an«, sagte Egon verbissen. »Und wenn das nichts ergibt, dann befragen wir
noch mal die Nachbarn. Aber zuallererst werde ich im Labor vorbeigehen und
fragen, warum wir immer noch keine DNA-Analyse von den Spuren aus dem Gästezimmer
haben.«
»Da ist nichts Neues zu erwarten, das Labor lässt du in
Ruhe«, sagte Reinhold.
Das war eine sehr kluge Anweisung, denn um den eigenen
Frust abzuladen, waren die Kollegen im Labor der falsche Ort. Egon freilich fügte
sich nur widerwillig in diese Anordnung.
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Wir gingen nicht ins Labor, um unseren Frust an
unseren Kollegen auszulassen, sondern um Ralf nach seiner Meinung zu fragen.
Wir fanden ihn in seinem Büro. Das Spielbrett war noch immer auf dem
Besprechungstisch aufgebaut.
Ich sagte: »Ich habe eine Frage, Herr General.«
Ralf kam zu uns und lächelte. »Du verwechselst die Spiele.«
»Ich habe eine Frage, Herr Botschafter.«
»Herr AuÃenminister«, sagte Ralf. »Mindestens.«
»In Ordnung, Herr Reichskanzler â¦Â«
»Na also.«
»⦠ich habe eine Frage zur Lage in Europa.«
»Nur zu.«
»Wir haben mit dem Türkei-Spieler gesprochen. Er sagte,
er hätte erreicht, dass Ãsterreich und Deutschland gemeinsam Russland angreifen
und Italien gegen Frankreich zieht.«
Ralf schaute nachdenklich auf das Spielbrett. Wir standen
um den Tisch herum und blickten alle auf die Karte, sodass ich mir fast wie ein
Mitglied des Generalstabs vorkam.
Dann schüttelte Ralf den Kopf. »Abwegig. Das halte ich
für unwahrscheinlich. Russland steht zu gut, um seinen Angriff gegen die Türkei
abzubrechen. Er wird den Türken sehr unter Druck setzen. Natürlich könnten
Deutschland und Ãsterreich Russland angreifen. Aber wozu? Mit welchen Erfolgsaussichten?«
Er sah uns an, aber es war nur eine rhetorische Pause. »Ich
glaube, Ãsterreich wird die Türkei angreifen. Der Türke besitzt vier Basen.
Russland wird sich mit Ãsterreich einigen, dass jeder zwei bekommt. Ãsterreich
nimmt im nächsten Zug Sofia ein und unterstützt den Russen in Bukarest. Der Deutsche
wird Russland nicht angreifen. Er kann nicht effektiv gegen Russland vorgehen,
sondern wird sich nach der Ausschaltung der Türkei um ein echtes Bündnis mit
Russland bemühen, um Ãsterreich anzugreifen.«
Das ging ziemlich schnell, aber ich konnte gerade noch
folgen. »Was machen Deutschland und Ãsterreich dann mit den Armeen, die
überzählig sind?«
Ralf grinste. »Deutschland greift Frankreich an. Italien
greift auch Frankreich an. Ãsterreich greift Italien an.«
»Was für ein Durcheinander.«
»Verwirrend wird es erst, wenn die Bündnisse wieder
wechseln.«
Das befürchtete ich auch. »Du glaubst also nicht, dass
die Türkei überleben wird?«
»Die Türkei ist Geschichte, aber das ist nur meine Meinung.
In diesem Spiel ist nichts ausgeschlossen. Jeder kann siegen und jeder kann
besiegt werden, wenn es nur die richtigen Bündnisse dafür gibt. Was ich sage,
leite ich allein aus der Lage auf der Karte ab.«
»Es klingt zumindest logisch.«
»Manchmal verlaufen die Züge logisch, manchmal auch
nicht.«
Da war es wieder, das Orakel von Krefeld. Ich sagte hastig:
»Mir reicht diese Auskunft.«
»In Ordnung.«
»Und du willst da wirklich noch mitspielen?«
»Ich habe gute Türschlösser«, sagte Ralf.
»Du darfst keinen deiner Mitspieler zu dir ins Haus lassen.«
»Wenn einer vor meiner Tür steht, lasse ich ihn verhaften.
Ich kenne jemanden bei der Polizei.«
Wir schauten noch einmal auf das Spielbrett, dann fügte
Ralf hinzu: »Ich denke, es war die Lehrerin?«
»Vielleicht war sie es, vielleicht auch nicht.« Und
vielleicht würde ich mich auch einmal um die Stelle des Orakels von Krefeld
bewerben.
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Wir verbrachten den Rest des Nachmittags damit, Elias
Gramsâ
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