Gegen jede Regel
nah,
als dass ich noch anders hätte reagieren können als mit stummem Erschrecken.
Der Fahrer erkannte die Situation schnell, stieg auf die Bremsen, lieà seine
Hörner durch den Nebel rufen und versuchte ein Ausweichmanöver. Es war sinnlos.
Der Fahrer des orangefarbenen Sportwagens stieg ebenfalls
auf seine Bremsen. Er lenkte, aber anstatt auszuweichen, stellte er sein Auto
quer. Ich bremste ebenfalls, allerdings ohne Ausweichmanöver. Es blieb nicht
viel zu tun. Alle beteiligten Fahrzeuge waren in Richtung und Geschwindigkeit
festgelegt. Wir bremsten, aber um Tonnen von Stahl und Aluminium zum Stillstand
zu bringen, brauchte man mehr Platz, als wir zur Verfügung hatten.
Die Zeit verlangsamte sich vor meinen Augen. Das Führerhaus
des Lkws hüpfte unter der Belastung der Vollbremsung. Sein Anhänger
schlingerte. Ich sah das Entsetzen im Gesicht des Fahrers. Er schlidderte
weiter auf das orangefarbene Auto zu, das sich ohne Kontrolle um die eigene
Achse drehte und sich dabei noch immer auf der Gegenfahrbahn befand. Meter um
Meter schob der Lkw sich vorwärts, was den sicheren Tod des Rasers bedeutete,
und es gab nichts, was wir tun konnten.
Als den Lkw und den Sportwagen noch drei Meter trennten,
rettete sich der Fahrer des Flitzers selbst. Das Auto beschleunigte, sprang von
der Gegenfahrbahn und entkam dem Lkw.
Dann stieà ich mit ihm zusammen. Meine verbliebene
Geschwindigkeit reichte aus, um den Zusammenstoà mit einem gefährlichen
Quietschen-Kreischen-Scheppern zu begleiten. Metall schrammte über Metall, Glas
splitterte. Ich wurde im Fahrersitz hin und her geworfen, bis sich unsere
Fahrzeuge voneinander lösten und ich den Sportwagen überrollte.
Genau diesen Effekt hatte ich natürlich gewollt, als ich
mir das gröÃere und schwerere Auto gekauft hatte. Aber bei der Vorstellung,
einen Menschen überfahren zu haben, drehte sich mir nicht nur der Magen um.
An eine Kontrolle des Fahrzeugs war nicht mehr zu denken.
Ich wurde herumgeschleudert, flog von einer Seite auf die andere, stieà mir den
Kopf, spürte den Gurt in meiner Haut, bevor der Airbag mich auffing. Ich
schaffte es, meinen Fuà auf dem Bremspedal zu behalten, und gab mich der
Illusion hin, dadurch würde mein Auto vielleicht eher zum Stehen kommen.
Obwohl ich durch den Airbag fixiert wurde, begann die
Welt sich zu drehen. Die raffinierteste Beschleunigungsmaschine im
Vergnügungspark war gegen diese Schleuderpartie nicht mehr als ein Kinderkarussell.
Ich konnte nicht sagen, ob sich mein Auto überschlug, ich verlor das Gefühl für
links und rechts, für oben und unten. Ob es mir gefiel oder nicht, mein Leben
lag in den Händen höherer Mächte.
Als der Wagen endlich stand, drehte sich die Welt weiter.
Nachdem meine Orientierung wieder so weit reichte, dass ich meine Arme und
Hände gezielt bewegen konnte, befreite ich mich aus dem Auto.
Ich tastete nach dem Türgriff, betätigte ihn und die Tür
schwang auf. Ich dankte still den Ingenieuren, die nicht an stabilisierendem
Metall gespart hatten. Ich öffnete den Gurt und schob mich behutsam zwischen
Airbag und Sitzlehne nach drauÃen.
Meine FüÃe fühlten nach dem Asphalt und ich wankte ein
paar Schritte zur Seite, bevor ich mein Gleichgewicht wiederfand. Ich ersparte
es mir, meinen Wagen genauer anzuschauen, denn ich hatte kein Bedürfnis danach,
festzustellen, wie knapp ich mit dem Leben davongekommen war. Mir war es
wichtiger zu wissen, ob der andere Fahrer auch noch lebte.
Das orangefarbene Auto stand zehn oder fünfzehn Meter
hinter meinem mit eingedrücktem Dach, aber immerhin mit allen vier Rädern auf
dem Asphalt. Ich ging in einem unfreiwilligen Halbkreis darauf zu, immer darauf
bedacht, nicht zu stürzen.
Zehn oder fünfzehn Meter sind keine lange Strecke. Man
kann sie mit höchstens zwanzig Schritten in allerhöchstens fünfzehn Sekunden
überwinden. Vielleicht war es der Schock, aber ich hatte das Gefühl, in so
kurzer Zeit noch nie so viele Gedanken in meinem Kopf gehabt zu haben. Die
Vorstellung, einen Menschen überfahren und vielleicht getötet zu haben,
verwandelte meine FüÃe in Blei und meine Knie in Pudding. Einmal musste ich auf
der Strecke anhalten, um meine Kräfte zu sammeln.
Mein Drang, einem anderen Menschen in Not zu helfen,
trieb mich weiter. Ich trat an die Fahrerseite oder das, was ich dafür hielt,
und beugte mich hinunter.
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