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Gegen jede Regel

Gegen jede Regel

Titel: Gegen jede Regel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Stammsen
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fertig.«

    Â»Wovon leben Sie denn in der Zwischenzeit?«

    Â»Ich … arbeite als Aushilfe.«

    Blumberg war dieses Eingeständnis sichtlich peinlich. Elias
Grams hatte auch Ambitionen als Schriftsteller angedeutet. Zwar schien Marcel
Blumberg wesentlich konkreter an seinen Zielen zu arbeiten, allerdings waren
seine Zukunftsplanungen nicht so solide, wie es für irgendjemanden ratsam war.

    Â»Also ich wünsche Ihnen auf jeden Fall viel Glück«, sagte
ich und meinte es auch so.

    Blumberg war sichtlich erleichtert, dass das Thema damit
abgeschlossen war. Ich erwartete, dass er nun an seinen Computer gehen würde,
um uns einen Einblick in seine Partien zu geben, aber er überraschte uns, indem
er an ein Regal trat und zielstrebig einen Ordner herauszog.

    Â»Warten Sie einen Moment«, sagte er blätternd. »Tobias
Maier. Hier ist er.« Er legte den aufgeschlagenen Ordner auf seinen
Schreibtisch und nahm zwei weitere aus dem Regal. »Wir haben überhaupt erst in
zwei Partien gespielt. Per E-Mail. Und natürlich die eine am Spielbrett.«

    Neben seinem Schreibtisch, auf dem der Computer aufgebaut
war, stand noch eine Art Studiertisch mit vier Stühlen. Wir setzten uns und warteten,
was er uns nun zeigen würde.

    Â»Hier ist die erste Partie. Das sind Ausdrucke aller
E-Mails, die ich bekommen und versendet habe. Sie sind chronologisch sortiert
und nach Spielzügen geordnet.«

    Ich blätterte ein paar Seiten um. Jede E-Mail hatte ein eigenes
Blatt. Einzelne Phasen der Partie wurden mit einem Deckblatt voneinander
getrennt, auf dem die jeweils aktuelle Karte zu sehen war.

    Das war natürlich der Traum jeden Ermittlers. »Sie haben
alle E-Mails archiviert?«

    Er nickte. »Aus allen meinen Partien.«

    Â»Das war sicher viel Arbeit«, meinte ich.

    Â»Ja, das war es. Wahrscheinlich halten Sie das für
ziemlich bescheuert, oder?«

    Â»Aus welchem Grund haben Sie dieses Archiv angelegt?«

    Â»Sehen Sie, ich spiele sehr gerne Dominanz. Es ist spannend und jedes Mal anders.«

    Wir warteten auf das Aber. Marcel Blumberg enttäuschte
uns nicht.

    Â»Aber es hat einen großen Nachteil. Man spielt es immer
allein. Man spielt mit sechs anderen, aber man kann nie sicher sein, wie viel
man denen verraten kann. Wenn man anderen zu sehr vertraut, verraten sie einen
vielleicht und man verliert. Egal wie man es auch spielt, es gibt nie jemanden,
mit dem man sich rückhaltlos austauschen kann, mit dem man sich unbefangen
beraten kann und mit dem man sich freuen kann, wenn eine Aktion geglückt ist.«

    Dominanz war
tatsächlich kein Spiel, bei dem man zusammenkam, nett plauderte und nebenher
mit dem Würfel sein Figürchen vorwärtszog. Jetzt verstand ich den Gedanken hinter
diesem Archiv. »Sie lesen also öfter in den E-Mails aus alten Partien?«

    Â»Ja, das mache ich. Ich kann ja schließlich auch nicht
den ganzen Tag schreiben.«

    Ich stellte mir Blumberg vor, wie er am Computer saß und
an seinem Manuskript arbeitete, wie er vor seinem Regal saß und in vergangenen
Siegen und Erinnerungen an erfolgreiche Intrigen schwelgte. Auch allein. Er
musste sehr viel Zeit in diesem Raum verbringen. Und ich sah nicht, wie er den
Nachteil von Dominanz, die Einsamkeit
des intriganten Herrschers, durch seine Archivierung überwinden konnte.

    Das Telefon klingelte. Wir blätterten ein wenig durch die
Ordner, während Herr Blumberg den Hörer abhob. Er sagte: »Oh, ich dachte, wir
könnten heute …«

    Der Ton in den E-Mails aus der Partie, in der ich
blätterte, war freundlich und kooperativ. Tobias war mit Marcel Blumberg leicht
zu Vereinbarungen gekommen, was daran liegen mochte, dass Tobias Frankreich und
Blumberg Russland gespielt hatte. Sie hatten sich darauf geeinigt, einen Zangenangriff
gegen Deutschland zu führen. Das kam mir aus dem Geschichtsunterricht bekannt
vor.

    Â»Aber ich habe doch schon Karten …«, hörte ich den
Spieler. In seiner Stimme lag das verzweifelte Aufbegehren eines Menschen, der
Niederlagen gewohnt war.

    Das Bündnis zwischen Tobias und Blumberg hatte bis in die
letzten Züge der Partie gehalten. Sie hatten schon ein Unentschieden
vereinbart. Dann hatte Blumberg gemeinsam mit dem schwachen, aber
entscheidenden Italien Tobias angegriffen.

    Â»Ja«, sagte Blumberg matt am Telefon. »Ja, ich verstehe.«

    Tobias hatte den Angriff nicht abwehren können.

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