Gegen jede Regel
schien ihnen sehr aufgebracht und deshalb warteten
die beiden, bis sie gesehen hatten, dass er wieder ins Haus ging. Dann fuhren
sie ab. Das war um 23:10 Uhr.«
»Das bestätigt die Aussagen der Frau«, sagte Nina. »Neu
ist, dass die beiden gesehen haben, wie Herr von Neudeck wieder in sein Haus
ging.«
»Der Abend ist bis zu diesem Zeitpunkt ganz gut abgesichert«,
meinte Jürgen.
Das stimmte. Leider war der Mörder erst kurz danach erschienen.
»Und gehört hat Herr von Neudeck nichts mehr?«
»Nein, er schläft mit Ohrstöpseln.«
Aber selbst wenn Tobias nicht durch sein eigenes Verhalten
dazu beigetragen hatte, dass sein Nachbar die Ohren vor ihm verschlossen hatte,
hielt ich es für unwahrscheinlich, dass Herr von Neudeck etwas von der Tat
gehört hatte.
»Was ist mit den anderen Nachbarn?«
Vier weitere Kollegen berichteten, dass keinem der Nachbarn
irgendetwas aufgefallen war. Was mich nicht wunderte. Es war ein Vorort, in dem
die Leute vornehm für sich blieben, es war die dunkle Jahreszeit mit
unangenehmem Wetter, es war Sonntagabend gewesen.
»In Ordnung, ich verstehe. Vielen Dank.«
Dann berichtete ich von den Erkenntnissen über die verborgene
Festplatte in Tobiasâ Computer. Reinhold und Niklas Macke schauten
nachdenklich, Egon und Marla ratlos.
»Was heiÃt das für den Kreis der Verdächtigen?«, fragte der
Staatsanwalt schlieÃlich.
»Zunächst noch nichts. Im Moment sind diese Hinweise auch
nachrangig«, sagte Nina. »Aber Tobias hat diese ganzen Daten auf einer gut
gesicherten und auch physisch versteckten Festplatte gehabt. Wir werden hier
weiter ermitteln müssen.«
Das war diplomatisch und ersparte mir, über meine Intuition
als Ermittler sprechen und mich eventuell rechtfertigen zu müssen. Ich nickte
deshalb zustimmend.
»Ich glaube auch, bei den Schülern und Frauen ist mehr zu
holen«, sagte Reinhold. »Bei einem Spiel reingelegt zu werden, wo es genau
darum geht, das ist ein ziemlich schwaches Motiv.«
Auch hier nickte ich artig, obwohl ich ihm nur teilweise
zustimmte.
»War das alles?«, fragte Reinhold.
»Von unserer Seite war das alles«, bestätigte Nina.
Reinhold bedankte sich und wandte sich Egon zu.
»Beginnen wir mit der Haushälterin«, sagte Egon und lächelte
vielsagend. Ich vermutete neue schmutzige Details. Egon schlug sein Notizbuch
auf.
»Die Haushälterin Corinna Senger ist 55 Jahre alt. Verheiratet,
zwei erwachsene Söhne. Sie kommt zweimal in der Woche zu den Maiers, normalerweise
Montag und Freitag. Gestern hat ihr älterer Sohn seinen Studienabschluss gefeiert
und deshalb war der Termin auf heute Vormittag verlegt worden.«
»Aber am Freitag war sie da?«
»So wie immer von dreizehn bis sechzehn Uhr. Und sie hat
Tobias gesehen. Sie sagte, er sei ein bisschen traurig gewesen. Vielleicht
Liebeskummer, meinte sie. Nichts Ungewöhnliches. Er ist gegen vierzehn Uhr mit
seinem Computer losgezogen zur LAN-Party. Bevor seine Mutter zurückkam.«
»Das schlieÃt eine Lücke in unserem Wissen über sein
Wochenende«, meinte Reinhold.
»Wie war denn Tobiasâ Beziehung zu der Haushälterin?«,
fragte ich.
»Ganz belanglos. Sie kannten sich vom Sehen. Gespräche
gab es keine wesentlichen. Sie meinte, er sei ein netter Junge gewesen, ganz normal
für sein Alter. Keine Anzeichen dafür, dass sie sich zu ihm hingezogen fühlte
wie eine der Frauen aus den E-Mails. Und wir haben sie wirklich intensiv befragt.«
Das glaubte ich aufs Wort. Und es entsprach dem, was ich
ohne Kenntnisse des Falls erwartet hätte. Aber so wie die Dinge lagen, war die
Haushälterin die erste erwachsene Frau aus Tobiasâ Umfeld, die nicht von der
auÃergewöhnlichen Anziehungskraft des Jungen berichtete. Das mochte daran
liegen, dass ihre eigenen Söhne schon deutlich älter waren als Tobias.
Vielleicht war sie auch mit ihrer Ehe zufriedener und für Tobiasâ Reize deshalb
nicht empfänglich.
»Also keine Spur vom Frauenmagneten«, stellte Egon fest.
Es klang nicht wie ein Angriff, aber aufgrund der E-Mails konnte er unsere
Erkenntnisse auch nicht infrage stellen.
»Es gibt sicher auch Frauen, die mit sich und ihrem Leben
zufrieden sind und keine Ablenkung durch einen Teenager brauchen«, sagte Nina.
»Sie glauben, er wirkte nur auf Personen, die aus der
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